Glücksspiel der Liebe
beste Aussehen innerhalb seines Freundeskreises, aber er war nicht unattraktiv. Eigentlich war er recht zufrieden mit seinem Erscheinungsbild. Und die Frauen schienen an ihm absolut nichts zu vermissen. Sie mochten ja sogar die störrische Haarsträhne, die sich weigerte gehorsam zurückgekämmt zu bleiben und ihm stattdessen immer in die Stirn fiel. Er grinste sich im Spiegel verschmitzt an. Außerdem liebten sie anscheinend sein Lächeln, sein Augenzwinkern und das Grübchen in der Wange. Doch, er war unbestreitbar ein gut aussehender Bursche.
»Mangel an Leidenschaft, ich glaube, mein...«, murmelte er.
Henrys Augenbrauen zuckten kaum merklich. »Wie meinen, Mylord?«
»Nichts, Henry, ich hab nur laut gedacht.« Jonathons Lächeln verschwand und er starrte sein Gesicht im Spiegel an.
Seinen Freunden gegenüber würde er es niemals zugeben, doch ihr Vorwurf letzte Woche bezüglich seiner mangelnden Leidenschaft hatte ihm keine Ruhe gelassen. Wie sehr er auch versucht hatte diese lächerliche Vorhaltung aus seinem Kopf zu verbannen und sie der Fabulierlust seiner Freunde zuzuschreiben. Doch wie eine Melodie, die immer und immer wieder im Geiste ertönt und einen fast verrückt macht, hatte der Gedanke ihn nicht losgelassen.
Immerhin gestand er, wenn auch nur sich selbst, ein, dass sie nicht völlig Unrecht hatten. Obgleich er gelegentlich tatsächlich verliebt gewesen war. Mehrere Male sogar. Es war nur einfach nicht die Art von Liebe gewesen, die Art von Passion, die einen zu lächerlichem Benehmen verleitete oder zu Versprechungen, die man nicht einzuhalten gedachte. Bei Licht betrachtet hatte er niemals einer Frau vorgemacht mehr bieten zu wollen, als er konnte. Möglicherweise waren seine Beziehungen zum anderen Geschlecht tatsächlich etwas oberflächlich gewesen, doch das hatte ihm selbst und der betreffenden Dame stets zum Vorteil gereicht. Und die Trennungen waren immer freundschaftlich verlaufen.
Es war kein schlechter Weg, sein Leben zu leben. Jonathon bezweifelte nicht, dass die Leidenschaft, die er laut Urteil seiner Freunde nie erlebte, schon folgen würde, sollte die richtige Frau seinen Weg kreuzen.
Aber nicht heute Abend. Heute Abend hielt er sein jährliches Stelldichein in der Bibliothek mit der zauberhaften Lady Chester ab. Judith war eine zarte blonde, blauäugige Witwe, die in dem reizenden und wohlverdienten Ruf stand, die Freuden des Lebens zu genießen und keinerlei Absichten bezüglich einer Wiederverheiratung zu hegen. Er kicherte leise. Es wäre nicht das erste Mal, dass er und Judith einen intimen Abend verbrachten, und aller Voraussicht nach auch nicht das letzte Mal. Dennoch, bei Judith wusste man nie genau, woran man war, und heute war Heiligabend.
Jonathon nahm die Gläser von Hen r y in die eine und die Flasche in die andere Hand und machte sich auf den Weg in die Bibliothek. Nach zwei Schritten blieb er stehen und blickte sich um. »Und?«
»Und was, Mylord?« Henrys gelassene Miene blieb ungerührt.
»Ratschläge, Henry, goldene Worte. Dein traditioneller Heiligabendmonolog.«
»Ich würde es nicht als Monolog bezeichnen.« Henrys Stimme war gleichförmig, doch in seinen Augen war ein Hauch von Heiterkeit zu entdecken.
»Und doch ist es ebenso eine Tradition wie der Weihnachtsball selbst oder wie die fixe Idee meiner Mutter, jedes Jahr einen noch größeren Baum aufzustellen oder...« Jonathons Grinsen wurde breiter und er deutete mit den Augen auf die Tür zur Bibliothek.
»Das ist in der Tat eine Tradition, Mylord«, gab Henry milde zurück. Und wer wüsste das besser als er?
Als Jonathon sein erstes weihnachtliches Tete-a-tete hatte, war er gerade siebzehn gewesen und Henry noch ein einfacher Diener. Dennoch war es ihm gelungen, das notwendige Getränk und die Gläser zu beschaffen; und als älterer und erfahrener Mann hatte er ihm einige weise Worte über den Umgang mit dem schönen Geschlecht mit auf den Weg gegeben.
»Also gut.« Der Butler sah Jonathon direkt in die Augen. »Passen Sie auf sich auf, Mylord. Vergessen Sie nicht, Frauen sind wankelmütige Wesen und neigen dazu, mehr in die Worte und Taten eines Gentleman hineinzulesen, als er möglicherweise beabsichtigt.« Jedes Jahr brachte Hen r y exakt dieselben Worte vor, gesprochen in exakt demselben Tonfall. »Verlieren Sie nicht den Kopf. Vermeiden Sie kompromittierende Situationen, für den Fall, dass ein ungebetener Gast versehentlich Ihr« — er räusperte sich — »Rendezvous stören
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