Glücksspiele: Kollers sechster Fall (German Edition)
diversen
Macken. Von denen sie mehr als genug hatte.
Aber fangen
wir mit ihrem Mann an. Weil der einfacher zu beschreiben ist. Heiner Wernz hatte
den Namen seiner Frau angenommen und hieß jetzt Heiner Glück. Den Grundschullehrer
sah man ihm schon von Weitem an. Ein phlegmatischer Enddreißiger mit etwas zu viel
Haar über den Ohren und etwas zu viel Speck um die Hüften. Sofern man Läufermaßstäbe
anlegte. Warmer Händedruck, bedächtige Gesten – solchen Leuten vertraute man seine
Kinder gern an. Sofern man Kinder hatte.
Jedenfalls
konnte ich mir eine Menge Orte und noch mehr Menschen vorstellen, zu denen ein Mann
wie Heiner Glück passte, vom Stadtteilverein über den Briefmarkenklub bis zum Ziegelhäuser
Presbyterium. Nur an einer Stelle passte er nicht recht ins Bild: an der Seite Katinkas.
Vielleicht
spürte er meine Irritation, denn kaum hatten wir uns die Hände geschüttelt, als
er anmerkte: »Wenn du einen Sportler erwartet hast, muss ich dich enttäuschen. Der
Mann unserer Bundeskanzlerin ist auch kein Politiker.«
»Die hat
einen Mann?«, entgegnete ich, bevor mir bewusst wurde, dass Glück ebenso gut Mitglied
des CDU-Ortsverbands Ziegelhausen und ein persönlicher Fan der Kanzlerin sein konnte.
Etwas Zottelhaar über den Ohren war schon lange kein Ausschlusskriterium mehr.
Doch Katinkas
Mann schmunzelte nur nachsichtig. Dann stellte er mir seine Tochter vor. Das Mädchen,
das sich schon die ganze Zeit hinter seinen Beinen versteckte, um von dort aus zu
kontrollieren, was das für ein Kerl war, der neuerdings immer die Mama abholte.
In ihren großen Kinderaugen stritten Angst und Faszination um die Vorherrschaft.
Ihr Vater
hob sie empor und sagte: »Das ist der Max. Sagst du ihm Guten Tag?«
Ich wartete.
Na, traust du dich? Zwei Wörter nur, Kleine! Sie schüttelte den Kopf.
»Und wie
heißt du?«, hörte ich mich sagen.
Sofort versteckte
sie ihr Gesicht an Papas Schulter. Recht so, was muss der Onkel auch für einen Mist
labern!
»Das ist
unsere Fiona«, erklärte ihr Daddy. »Moritz schläft noch. Stimmt’s, Fiona?«
Nun mal
ehrlich: War das etwa die gescheitere Frage? Klein Fiona schien dieser Meinung,
denn sie nickte heftig, ohne den Kopf von der väterlichen Schulter zu nehmen. Dann
streckte sie mir ihre Faust hin, aus der sich zwei Fingerchen lösten.
»Ihr Bruder
ist gerade zwei geworden«, übersetzte Heiner Glück.
»Und wie
alt bist du?«, wollte ich wissen.
Nun hob
sie doch den Kopf. Die vielen Finger mussten dirigiert werden! Drei zählte ich schließlich,
allerdings zuckte der Ringfinger unentschlossen im Sog der anderen mit.
»Drei?«,
staunte ich. »So alt schon? Dann bist du ja viel größer als dein Bruder.«
Keine Ahnung,
wie es mir gelang, so fix auf Kleinkindsprech umzuschalten. Muss wohl doch tief
drin in einem stecken, auch wenn man keinen eigenen Nachwuchs und keine Neffen oder
Nichten hat. Fiona jedenfalls gefiel es.
»Dreieinhalb
ist sie«, präzisierte der Vater. »Und schon im Kindergarten.«
»Ehrlich?«
»Mittags
schlafe ich nicht mehr«, rief die Kleine. »Nur Moritz.«
»Der ist
ja auch noch klein.«
Sie strahlte.
Klein ist der, genau! Total das Baby, der Moritz. Im Kopf überschlug ich kurz: Vor
ziemlich genau vier Jahren hatte die schwangere Katinka mit dem Leistungssport aufgehört.
Im August oder September war Fiona auf die Welt gekommen, anderthalb Jahre später
Moritz. Noch ein Jahr später, gegen Ende des vergangenen Winters, hatte sich Katinka
zum Wiedereinstieg entschlossen. Und schon im September war ihr in Berlin das Comeback
geglückt: die Olympiaqualifikation. An den Gerüchten, dass Mütter leistungsfähiger
waren als Athletinnen ohne Nachwuchs, schien tatsächlich etwas dran zu sein. Christine
hatte mir das auch schon verklickert. Dass dabei so ein herausfordernder Glanz in
ihrem Blick lag, hatte ich geflissentlich übersehen. Für meinen Geschmack war Christine
leistungsfähig genug. Außerdem wollte sie sich ja nicht für London qualifizieren.
Heiner,
Fiona und der mittlerweile aufgewachte Moritz winkten uns nach, als wir in Katinkas
Smart stiegen. Um Heiners Beine strich eine braun-weiße Katze. Katinka verstaute
ihre Sporttasche im Kofferraum – soll heißen: in dem, was bei einem Smart als Kofferraum
bezeichnet wird –, dann schritt sie vor zur Beifahrertür und wartete, bis ich eingestiegen
war.
Und damit
wären wir bei der ersten ihrer zahlreichen Macken angelangt.
Ich hatte
die Türen nämlich längst per Fernbedienung
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