Glücksspiele: Kollers sechster Fall (German Edition)
sagen Sie, und fliegen zum Training nach St. Moritz
oder in die USA. Der DLV zahlt ja. Das Lauftalent aus Bangladesch würde vielleicht
auch gern in der Höhe trainieren, wird den Aufenthalt aber nie finanziert bekommen.
Ist das gerecht?« Er lachte. »Fair Play hat vielleicht vor 100 Jahren an den englischen
Colleges funktioniert. Jetzt ist es nur noch ein Mittel, um die Überlegenheit der
Ersten Welt gegenüber der Dritten zu zementieren. Und nicht mal das klappt, wie
man im Marathon sieht. So, und jetzt muss ich pinkeln.«
Mir lag
ein Kommentar auf der Zunge, doch im selben Moment ließ mich ein Geräusch aus der
Ferne zusammenzucken.
Jemand schrie.
Grell und durchdringend.
Ich sprang
auf. Katinka! Das war ihre Stimme, und sie klang, als sei sie in höchster Todesangst.
»Raus!«,
brüllte ich und stürzte zur Tür. »Wir müssen ihr helfen!«
Brose erhob
sich langsam. Mit aller Kraft warf ich mich gegen die Tür. Keine Chance. Es war,
als habe sie sich in den Kopf gesetzt, mich zu piesacken. Verzweifelt versetzte
ich ihr einen Tritt nach dem anderen. Dazwischen gellten immer wieder Katinkas Schreie
durch das Haus.
Ich brach
mir fast den Fuß, doch es half nichts. Die Tür hielt.
»Das hört
sich aber nicht gut an«, meinte Brose hinter mir.
Kochend
vor Wut drehte ich mich zu ihm um. »Verdammt, nun helfen Sie mir! Zeigen Sie wenigstens
einmal, dass Sie ein Mensch sind.«
»Jaja«,
murmelte er. »Schon gut.«
Er nahm
noch einen Schluck Bier, dann trat er neben mich. Ich zählte bis drei, dann rannten
wir gemeinsam gegen das verdammte Hindernis. Es krachte gewaltig, durch meine Schulter
fuhr ein glühender Schmerz, dann prallte ich draußen an die gegenüberliegende Kellerflurwand.
Die Tür hatte nachgegeben!
Neben mir
rappelte sich Brose auf.
Ich quetschte
mich an ihm vorbei und rannte die Treppe nach oben. Wieder ein Schrei aus Katinkas
Mund, ein gellendes, alles durchdringendes Geheul. Es kam nicht aus dem Wohnzimmer.
Da, ein Gang, der vom Flur aus nach links führte. Nichts wie hinein! In einiger
Entfernung hörte ich einen Motor sanft grollen.
Dann roch
ich es: Autoabgase.
Der Gang
führte um eine Ecke und endete vor einer offenstehenden Tür: dem Zugang zur Garage.
Bläulicher Qualm schlug mir entgegen. Es roch widerlich, ich hielt den Atem an.
Aber wo war Katinka?
Mit beiden
Händen versuchte ich, die Abgaswolken vor mir zu vertreiben. Karsts BMW-Oldie stand
da, die Beifahrertür offen. Alles war voller Qualm. Und dann sah ich Katinka. Wimmernd
kam sie um das Heck des Wagens, mit dem Rücken voran, einen leblosen Körper hinter
sich her ziehend.
»Katinka!«,
rief ich und stürzte auf sie zu. Aber das war wohl die falsche Reaktion, denn kaum
sah sie mich, als sie wieder in panisches Geschrei ausbrach. Ich griff nach ihr,
versuchte, sie zu umarmen, und als ich sie endlich gepackt hatte, drückte ich sie
fest an mich wie eine Mutter ihr Kind.
»Alles gut«,
keuchte ich, während mir der Gestank in der Garage schier den Atem verschlug. »Alles
gut, Katinka. Ich bin da.«
Schluchzend
krallte sie ihre Hände in meinen Rücken.
Hinter mir
hörte ich Brose husten. »Bringen Sie ihn raus«, rief ich ihm zu und nickte mit dem
Kopf Richtung Boden. Dort lag Karst, ohne jedes Lebenszeichen und bar jeglicher
Gesichtsfarbe. In einer Mischung aus Tragen und Zerren beförderte ich Katinka aus
der Garage. Als wir den Flur des Hauses erreicht hatten, ließ ich sie vorsichtig
auf den Boden nieder. Bis ich ihre Finger aus meinen Kleidern gelöst hatte!
»Simon«,
weinte sie. »Simon … Genau wie damals.«
»Ich weiß.
Du hast ihn gerettet.«
»Nein!«,
schrie sie auf. »Habe ich nicht!«
»Andreas
meine ich. Lass mich kurz Brose helfen.« Ich eilte in die Garage zurück, wo sich
der Lockenkopf mit Karsts Körper abmühte. Zu zweit zogen wir ihn aus der Gifthölle
bis in den Hausflur. Aufstöhnend ließ sich Brose neben seinem Kumpel nieder. Ich
dagegen begab mich ein drittes Mal in die Garage, um den Motor des BMW auszustellen
und das Tor zu öffnen. Draußen stand noch immer Broses Leihwagen. Ein Passant kam
mit Hund vorbeigestrolcht und linste neugierig in die Garage.
»Rufen Sie
bitte einen Notarzt«, rief ich ihm zu. »Selbstmordversuch mit Abgasen!«
Der Mann
nickte.
Katinka
saß wie ein Häuflein Elend im Flur, Rotz und Wasser heulend. Ich setzte mich neben
sie, legte den Arm um ihre Schulter und schwieg. Was hätte ich auch sagen sollen?
Karst lag regungslos vor uns. Sein Mund stand offen, die
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