Glücksspiele: Kollers sechster Fall (German Edition)
Verlagerung seiner Sitzposition an Grothe, »dass es im Interesse
gewisser Konkurrentinnen sein könnte, wenn Frau Glück nicht an den Olympischen Spielen
teilnähme. Habe ich das richtig verstanden?«
Grothe nickte.
»Russkis und Engländer.«
»Aber Frau
Glück ist doch nur ein Mitglied des deutschen Marathonteams. Müssten die restlichen
Teammitglieder nicht ebenso an einem Start gehindert werden?«
Wieder Nicken.
»Um sicherzugehen, auf jeden Fall. Wenn nur Katinka ausfällt, ist das zwar eine
Schwächung des Teams, trotzdem müssten wir deswegen unsere Ziele nicht komplett
neu definieren.«
»Was würde
im Fall eines Rückzugs passieren? Oder im Fall einer Verletzung?«
»Eine andere
wird nachnominiert. Das ist bis kurz vor den Spielen möglich.«
»Und wie
sieht es mit Konkurrenz im eigenen Lager aus? Könnte eine deutsche Athletin Interesse
daran haben, dass Frau Glücks Startplatz frei wird?«
Grothe zog
die Brauen zusammen. Das machte Eindruck, denn er hatte dicke, dunkle Brauen, mit
denen es sich prächtig arbeiten ließ. Ganz anders als bei dem Blonden von gestern.
»Unsere Mädels tun so was nicht«, knurrte er.
»Natürlich
tun sie das nicht«, seufzte Fischer. »Menschen tun niemals etwas Böses. Meine Frage
zielte allein auf ein theoretisches Interesse einer Konkurrentin am Startplatz für
London. Es gibt doch sicher ein großes Gerangel unter den Marathonläuferinnen?«
»Was heißt
hier Gerangel? Die Qualifikationsnormen sind eindeutig: Du musst unter 2:30 laufen,
dann bist du dabei.«
»Und wenn
mehr als drei Damen die Norm erfüllen?«
»Dann entscheidet
der DOSB über die Vergabe. Der Deutsche Olympische Sportbund, in Absprache mit den
DLV-Trainern.«
»Derzeit«,
warf Eichelscheid ein, »ist es tatsächlich so, dass genau drei Athletinnen die Norm
erfüllen. Außer Frau Glück sind das …«
»… die Romy,
die Birthe und die Katinka.« Grothe blitzte den Älteren wütend an. »Liefen letztes
Jahr zwischen 2:26 und 2:29. Und die drei werden es auch. Es gibt zwar eine ganze
Reihe von Talenten, die im April noch die Möglichkeit haben, die Norm zu knacken,
aber für unsere drei spricht die Erfahrung, die Zuverlässigkeit und im Fall Katinkas
die klar aufsteigende Form. Da lege ich mich fest. Außerdem«, er schnitt Fischer,
der bereits Luft geholt hatte, mit einer Handbewegung das Wort ab, »bringt ein Startverzicht
Katinkas niemandem was, solange keine andere Läuferin die Olympianorm vorweisen
kann. Im Moment wäre es also Quatsch, eine Deutsche zu verdächtigen.«
»Aber gerade
sagten Sie doch, dass im Falle eines Falles eine Läuferin nachnominiert wird«, beharrte
Fischer. »Dann gäbe es jemanden, dem der Startverzicht nützte.«
»Nur bei
Erfüllung der Norm.«
Nach diesen
Worten herrschte eine Weile Stille im Raum. Die Sekretärin gähnte verstohlen. An
den Fensterscheiben sorgte der Regen für lange, schräg nach unten verlaufende Schlieren.
Katinka hatte ihre erste Trainingseinheit schon hinter sich.
»Gut«, meldete
sich Kommissar Fischer schließlich zu Wort. »Dann kann ich Ihnen nur raten, Augen
und Ohren offen zu halten. Vor allem Ihnen, Herr Koller. Sollte Ihnen der Mensch
von gestern wieder über den Weg laufen, versuchen Sie herauszubekommen, um wen es
sich handelt und was hinter der Sache steckt.« Er kniff die Augen zusammen. »Kann
es sein, dass Sie älter werden? Früher wäre Ihnen der Mann niemals entwischt.«
»Ich werde
nicht älter«, blaffte ich zurück. »Höchstens die Verbrecher jünger. Im Übrigen spielt
es keine Rolle, ob wir den Mann haben oder nicht. Der war doch bloß als Bote engagiert
und wird seine Hintermänner nicht kennen. Selbst wenn Sie ihn foltern.«
»Natürlich
spielt es eine Rolle, und Sie wissen das.« Fischer stand auf. »Viel Glück, meine
Herren – das ist in diesem Fall ja doppelt angebracht. Melden Sie sich, sobald sich
etwas Neues tut.«
»Moment!«
Dr. Eichelscheid schaute, als könne er nicht bis drei zählen. »Soll das heißen,
dass Sie nichts in dieser Angelegenheit unternehmen?«
»Was denn?«
»Ermitteln.
Den Unbekannten suchen. Nach Auftraggebern und Motiven forschen.«
Der Kommissar
warf ihm einen scharfen Blick zu. »Sie wissen genau, dass uns die Hände gebunden
sind, solange keine Straftat vorliegt. Wurde Frau Glück vielleicht bedroht?«
»Indirekt
schon.«
»Herr Koller:
Hat der Mann eine Drohung ausgesprochen?«
Ich schüttelte
den Kopf.
»Aber muss
erst etwas Schlimmes passieren, bis Sie aktiv
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