Glücksspiele: Kollers sechster Fall (German Edition)
Besserung
ihrer Laune war jedenfalls nichts zu spüren, nicht auf der Fahrt durch die Stadt
und auch nicht, als wir endlich am Gasteig angekommen waren.
Burgartig
lag das Münchner Zentrum für Hochkultur über der Isar. Ich stellte den Smart in
der Tiefgarage ab, dann fuhren wir gemeinsam mit dem Aufzug nach oben. Katinka trug
eine große Handtasche über der Schulter, an der sie ständig herumfummelte. Mal kontrollierte
sie, ob sie nichts vergessen hatte, mal kramte sie ein Taschentuch hervor, mal probierte
sie nur die Verschlüsse aus. Anschließend hängte sie die Tasche über die andere
Schulter.
Interessant.
So nervös kannte ich meinen Schützling gar nicht. Vor dem Wettkampf in Karlsruhe
war sie angespannt gewesen, aber konzentriert: Tunnelblick. Bevor sie aus dem Aufzug
trat, atmete sie tief durch. Schade, dass sie nicht in ihren Trainingssachen steckte.
Unter all den Schlipsträgern hätte das bestimmt Eindruck gemacht.
In der Riesenburg
Gasteig gab es einen Riesensaal für Orchesterkonzerte, einen kleinen Saal für Kammermusik
und einen klitzekleinen für den Rest. Während die Upper Class zu den Philharmonikern
strebte, steuerten wir das Puppenstübchen an. Den Smart unter den Sälen, dachte
sich Mr. Superwitzig Koller. Lediglich eine gut bestückte Loungebar neben dem Eingang
versprach Trost und Ablenkung.
»Dir macht
es ja nichts aus, wenn ich draußen warte?«, sagte ich, eine Hinterbacke auf einen
Barhocker schiebend.
Katinka
zuckte die Achseln.
»Außerdem
habe ich von hier aus alles im Blick.« Seitlich der Lounge hing ein Monitor, der
das Geschehen im Inneren des Saales live übermittelte. Falls eine Veranstaltung
aus den Nähten platzen sollte, nahm ich an. Ich sah zwei Saaldiener die Stühle auf
einem Podium zurechtrücken, Wassergläser füllen, Blumenschmuck platzieren.
»Dann viel
Spaß.«
Weg war
sie. Und mit ihr das Parfüm, das sie aufgelegt hatte, das ihre Nervosität aber nicht
überdecken konnte.
»Was darf’s
sein?«, fragte der Barkeeper.
»Ich muss
noch Auto fahren. Deshalb nur einen einfachen Whisky.«
Oben auf
dem Monitor erschien Katinka. Sie sprach mit einem silbermähnigen Herrn und den
Saaldienern, Hände wurden geschüttelt, Kleinigkeiten der Sitzordnung korrigiert.
Mein Whisky kam: ein Lagavulin, Empfehlung des Barkeepers. Während mich seine Blume
in der Nase kitzelte, beobachtete ich die vorbeiflanierenden Gäste. Die meisten
hatten wohl das Philharmonikerkonzert im Sinn, einer erwähnte das Konservatorium,
das sich auch irgendwo innerhalb des Gebäudekomplexes befinden musste, und hin und
wieder betrat sogar einer den Raum der Buchvorstellung.
In der Lounge
dagegen war überhaupt nichts los. Wahrscheinlich wurde sie erst in den Pausen gestürmt,
wenn die von Musik und Vorträgen ausgetrockneten Gasteigbesucher nach Erfrischungen
lechzten. Der Barkeeper kontrollierte irgendwelche Abrechnungen, und ich hatte Gelegenheit
genug, über Gott und die Welt nachzudenken.
Bis zu dem
Augenblick, als sich eine ältere Frau zu mir an die Bar gesellte und den Blick nicht
von meinem Glas wenden konnte.
»Ist der
gut?«, fragte sie mich mit auffallend tiefer Stimme.
»Exzellent
wäre untertrieben.«
»Dann nehme
ich auch so einen. Aber einen doppelten, damit ich diese grässliche Veranstaltung
überlebe.«
Seufzend
ließ sie sich auf einem Barhocker nieder, legte ihre Handtasche auf den Tresen und
begann sie auszuräumen. Eine Bürste, ein Lippenstift, mehrere Tablettenschachteln
und diverse Papiere wurden ins Freie befördert. Lippenstift und Bürste kamen zum
Einsatz, ebenso eine Tablette. Als ihr Getränk kam, säuberte sie gerade ihre überdimensionale
Brille mit einem Brillenputztuch.
Wir prosteten
uns zu. Ich schätzte sie auf 60 bis 70 Jahre, doch die rot gefärbten Haare und reichlich
Schminke konnten den Eindruck verfälschen.
»Es geht
mich ja nichts an«, mischte sich der Barkeeper ein, »aber wenn Sie Alkohol trinken,
sollten Sie mit Tabletten vorsichtig sein, gnädige Frau.«
»Tabletten?«
Sie starrte ihn mit ihren großen, vom Brillenglas unnatürlich verzerrten Augen an.
»Ach, die meinen Sie? Das Zeug ist harmlos.«
Der Barkeeper
hob die Brauen. Mit dem Zeigefinger zog er eine der Schachteln zu sich heran, nahm
sie in die Hand und betrachtete sie eingehend. »Harmlos?«
Die Dame
begann zu kichern. »Schauen Sie mal auf das Haltbarkeitsdatum, junger Mann. Damals
waren Sie noch nicht geboren.«
Ich ließ
den Whisky in meinem Glas kreisen. Die Bühne
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