Glücksspiele: Kollers sechster Fall (German Edition)
hatte, was schnell, stark und zäh machte. 116 verschiedene Medikamente
waren es vor ihrem dreitägigen Todeskampf, und wofür? Um einmal unter den Top Ten
ihrer Disziplin zu sein.
»Hier«,
sagte Daniela Werner-Buttgereit, und ich sah, wie sie ihre Handtasche zückte und
darin zu kramen begann. »Ich habe Ihnen ein paar der gängigsten Mittel von damals
und heute mitgebracht. Das meiste rezeptpflichtig, aber inzwischen bekommen Sie
alles im Internet.« Sie hielt nacheinander einige Gläschen und Schächtelchen in
die Höhe. »Das sind die berühmten blauen Pillen Oral-Turinabol aus Jena, das DDR-Hausmittel.
Dann Stromba aus dem Arzneischrank der Siebenkämpferin, unter Bodybuildern immer
noch gern genommen. So sieht Glenbuterol aus, das Kälbermastmittel, und das hier
… Warten Sie …« Sie kramte, aber vergeblich. »Tut mir leid, da war noch ein Röhrchen
Dianabol aus den Siebzigern, aber das scheine ich verlegt zu haben.«
Sofort schnappte
ich das Röhrchen und hielt es nach oben, direkt vor den Monitor. Die Werner reagierte
nicht.
»Was meinen
Sie?«, fragte ich den Barkeeper. »Soll ich rein und es ihr bringen?«
Der Typ
musterte mich kurz, dann schüttelte er den Kopf.
Also gut,
lassen wir es. Die alte Dame steuerte ohnehin auf ihr Schlusswort zu.
»Wenn ich
etwas nicht mehr hören kann, dann die Versicherung, dass Doping nur bestimmte Sportarten
beträfe. Vergessen Sie’s. Fußballer dopen, Wintersportler, Eishockeyspieler, Handballer.
Im Marathon der Männer purzeln gerade die Weltrekorde. Wieso eigentlich? Dauernd
verrecken Turnierpferde an plötzlichem Herzversagen.« Sie schaute nach links, wo
Katinka saß. »Lassen Sie mich zum Abschluss an zwei DDR-Kolleginnen erinnern, die
schon in jungen Jahren ohne ihr Wissen gedopt wurden. Beide haben eine behinderte
Tochter. Sorgen Sie dafür, dass so etwas nie wieder vorkommt.«
Aha. Das
war also der Grund, warum Katinka den weiten Weg nach München auf sich genommen
hatte. Die Solidarität der Mütter. Und darauf spielte auch die Sache mit dem Tellerrand
an: Es war eine Sache, dieses schwer verdauliche Süppchen aus Bestleistungen und
Extrembelastungen auszulöffeln. Eine ganz andere war es, wenn da noch weitere Beteiligte
mit am Tisch saßen. Ehemänner, Kinder, Enkel.
Ich schaute
tief in mein Whiskyglas. Versuchte die bernsteinfarbene Flüssigkeit mit meinem nicht
mehr ganz so messerscharfen Blick zu analysieren. Alles sauber, würde ich mal sagen.
Ein Schluck, und das Glas war leer. Aber was muss das für ein Gefühl sein, wenn
du erfährst, dass du als Jugendliche von deinen Trainern mit diesem Gift vollgepumpt
wurdest. Wenn du dich jetzt, 20 oder 30 Jahre später, fragst, was es noch in deinem
Körper anstellt. Oder in dem deiner Kinder. Ob es dich langsam auffrisst. Ob es
deine Zellen zerstört, dein Blut, deine Nerven. Oder ob es erst in der nächsten
Generation zuschlägt.
Mama, warum
kann ich nicht richtig laufen?
Ich schüttelte
mich. Jetzt nur nicht sentimental werden! Erstens hatten die meisten DDR-Sportler
vermutlich gewusst, worauf sie sich einließen, zweitens war noch lange nicht ausgemacht,
welche Erkrankung woher rührte, und drittens war das alles überhaupt viel zu kompliziert
für einfache Gemüter wie mich. Ich konnte nur eines: geradeaus Fahrrad fahren, und
auch das nicht besonders gut.
Nachdenklich
drehte ich das Pillenbehältnis in meinen Fingern. Was man so nachdenklich nennt,
nach zwei Whisky auf nüchternen Magen.
Ob die Geschichte
mit Honeckers Hund stimmte?
Testosteron
soll ja stark machen. Den Mann in dir wecken, der seit der Pubertät still vor sich
hindämmert. Nebenwirkungen drohen nur bei regelmäßiger Einnahme. Ich öffnete den
Schraubverschluss und ließ eine Handvoll Pillen auf den Tresen fallen. Der Barkeeper
schaute interessiert.
Weiße Pillen,
kreisrund. Könnte auch Aspirin sein. Ein Vitaminpräparat. Oder was gegen Grippe.
Als ich
hörte, wie sich die Saaltüren öffneten, legte ich rasch eine Getränkekarte über
die Tabletten und schraubte das Röhrchen wieder zu. Unter den Ersten, die ins Freie
strebten, war die Autorin. Mit einem Seufzer, so lang wie eine 50m-Bahn, ließ sie
sich auf ihrem angestammten Hocker nieder.
»Gott sei
Dank«, stieß sie hervor. »Das wäre überstanden.« Ihre Hände zitterten, als sie dem
Barkeeper winkte.
»Das hier
haben Sie liegen lassen.« Ich reichte ihr das Röhrchen. »War kurz am Überlegen,
ob ich es Ihnen reinbringen soll, aber ich hasse diese Menschenmengen
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