Glücksspiele: Kollers sechster Fall (German Edition)
noch mehr
als Sie.«
Sie nickte.
Die Pillen wegsteckend, bestellte sie einen doppelten Whisky. »Hatten Sie eine schöne
Zeit hier draußen?«
»Langeweile
kam nicht auf.« Ich zeigte zum Monitor. »Beeindruckender Vortrag. Sagen Sie, wirkt
das Zeug nach über 30 Jahren immer noch?«
»Das Dianabol?
Würde mich wundern. Obwohl, bei der legendären Schweizer Gründlichkeit …« Sie fuhr
zusammen. »Was ist denn?«
»Aber Frau
Werner«, flötete Häuptling Silberlocke aus dem Hintergrund. »Sie müssen doch noch
signieren! Das Volk wartet auf Sie.«
Hinter ihren
Brillengläsern flatterten die Augenlider. Sie atmete tief durch, hielt vergeblich
nach dem bestellten Whisky Ausschau und erhob sich schließlich. »Signieren oder
resignieren«, murmelte sie. »Das ist hier die Frage.«
Kaum waren
die zwei außer Sicht, gönnte ich mir die Handvoll. Der Barkeeper tat, als habe er
nichts bemerkt.
14
Vor 40 Jahren wurden die Olympischen
Spiele einer Verjüngungskur unterzogen. Zum ersten Mal darf eine Frau die entscheidenden
Worte sprechen. Die Frau ist 22 Jahre alt, sie heißt Heidi Schüller und trägt einen
atemberaubend knappen Rock. Vor allem aber macht sie kein Hehl daraus, was sie vom
olympischen Gelöbnis hält. Nonchalant, im Stil eines Teenagers, der ein Gedicht
vorträgt, leiert sie den Text herunter und kratzt sich dabei immer wieder an der
Backe.
An der linken
Backe. Heidi Schüllers rechte Hand umklammert einen Zipfel der Deutschlandfahne.
Im Namen
aller Wettkämpfer gelobe ich,
dass wir
in fairem Wettstreit
an den Olympischen
Spielen teilnehmen …
Sie schaut
auf. Der Fahnenträger neben ihr verzieht keine Miene.
… teilnehmen
und die
für sie geltenden Regeln achten
und befolgen
werden.
Wieder schaut
sie hoch. Backe links. Das Sonnenlicht spielt auf ihren langen Beinen.
» Achten ?«,
fragt sie den Fahnenträger.
Nichts.
» Die
Regeln achten und befolgen ?«
Die schöne
Heidi schüttelt den Kopf. Ihr Haar flattert im olympischen Wind. Alles an ihr ist
Unruhe, von den tänzelnden Füßen bis zu den nervösen Fingern ihrer freien Hand.
»Ey«, sagt
sie, und das Mikrofon überträgt die Silbe bis in den hintersten Winkel der Fernsehwelt.
»Ey«, sagt sie, »das ist doch peinlich.«
Der Fahnenträger,
ein Zweimeterhüne, blickt starr geradeaus.
» Im Geiste
sportlicher Fairness – dass ich nicht lache!« Und sie lacht tatsächlich, es
kommt über sie wie die Heiterkeit der Heiligen, ein Glucksen, das schon heraus ist,
bevor die rasch zum Mund geführte Hand es einfängt. » Zum Ruhme «, prustet
Heidi, » zum Ruhme des Sports …! Ist das nicht beknackt? Ist das nicht superbeknackt,
Leute?«
Und sie
lässt die Fahne los, schüttelt lachend den Kopf, greift sich an die Stirn, verlässt
unter Gekicher das große olympische Podium. Ihre Beine so lang. Die Schuhe mit hohen
Absätzen. Die lachende Münchner Sonne.
Der große
Lümmel neben ihr hat sich nicht von der Stelle gerührt.
Ja, so war
das, damals, im August 1972, unter dem Glasdach des neuen Münchner Stadions.
Was aber
keiner weiß: dass ich Heidis Fahnenträger war, ich, Max Koller, der Riese unter
den Privatdetektiven. Während die Schöne spricht, halte ich die Fahnenstange mit
beiden Händen und presse ihr Ende fest gegen meinen Hosenlatz, auf dass nicht hervorspränge,
was sich da groß und immer größer lümmelt.
Und dann
geht es los mit den Spielen, mit dem Theater Ost gegen West, Schwarz gegen Weiß,
Jenapharm gegen Ciba-Geigy. Es fallen Rekorde und Bestleistungen, Wolfermann/West
gewinnt mit zwei Zentimetern Vorsprung gegen Lusis/Ost, Stecher/Ost sprengt den
Weltrekord doppelt. Zwei Amerikaner verschlafen das Sprintfinale: keine geballte
Black-Panther-Faust auf dem Siegerpodest. Dafür ballt es sich in meiner Hose. Ich
bin der Fahnenträger, dem der Reißverschluss platzt. Wo ist die schöne Heidi? Warmlaufen
für die 110 Meter Hürden. Andere sind bereits heiß gelaufen, zum Beispiel ich. Startschuss:
keine Chance für den schönsten aller Olympiaeide gegen die stark behaarte Anabolikakonkurrenz.
Neben Heidi reiße ich eine Hürde nach der anderen um, es geht um Ruhm und Ehre,
um Ausreisevisa aus dem Arbeiterbauernsportlerstaat, vor allem aber geht es um Triebbewältigung.
Fort mit dem Zeug! Noch nie war ich so stark, so männlich erregt. Die Fahne zeigt
mir den Weg, ich laufe ihr einfach hinterher. Durchstoße die Ziellinie, pfähle die
Zeit. Am Ziel aber bin ich noch lange nicht. Ich brauche
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