Glücksspiele: Kollers sechster Fall (German Edition)
Kältekammer sehen?«, fragte sie mich unterwegs. »Die gibt es erst seit ein paar
Jahren.«
Ich winkte
ab. Temperaturen unter null Grad Celsius waren nicht mein Ding. Da interessierte
mich die sagenumwobene Unterdruckkammer aus DDR-Zeiten schon mehr. Weil es in Deutschland
so wenige Dreitausender gab und weil man keine Ost-Mark ans Ausland zu verschenken
hatte, holten Ulbricht & Co. das Hochgebirge nach Brandenburg. Verbuddelten
es im märkischen Sand. An einem geheimen Ort im Wald ließen sie eine Grube ausheben,
ein Sportlerlaboratorium mit dicken Wänden und dünner Luft. Hier simulierten Läufer,
Geher, Ruderer und Radfahrer das Höhentraining: unter der Erde. Vage Erinnerungen
an einen James-Bond-Film stiegen in mir auf, an einen Bösewicht, der sich mit einem
Knalleffekt aus seiner Kinorolle verabschiedete. In der »Lizenz zum Töten« war das,
und die Druckluftkammer befand sich auf einem Schiff … aber die Realität war wahrscheinlich
bloß entsetzlich eintönig.
»Kann man
das Ding besichtigen?«, wollte ich wissen.
»Soviel
ich weiß, ja«, erwiderte Katinka. »Frag bei der Leitung nach.«
Ein schöner
Tag neigte sich dem Ende zu, als wir wieder bei den Pavillons anlangten. Der Frühling
in der Mark Brandenburg konnte richtig schick sein. Sofern man seine Zeit nicht
mit Leibesertüchtigungen zubringen musste. Beim Abendessen im großen Speisesaal
hatte ich Gelegenheit, das restliche Volk unter die Lupe zu nehmen, das im Bundesleistungszentrum
seine Tage verbrachte. Neben den Kaderathleten vom Schlage Katinkas waren das Sportler
aller Couleur, vom Paralympicsteilnehmer über Polizisten bis hin zum Fußballklub
aus dem Erzgebirge, der sich zum Vereinsjubiläum etwas Besonderes leistete. Zwei
Tische weiter saß ein leibhaftiger Diskuswurf-Olympiasieger, in dessen Pranken das
Geschirr wie Puppenstubenzubehör wirkte. Einige Läufer begrüßte Katinka wie alte
Bekannte, den beiden Sprintern von den Bahamas, die gleich mit ihr anbandeln wollten,
gab sie dagegen einen Korb.
Anschließend
hatte sie noch ein Treffen mit DLV-Vertretern, bei dem keiner von uns – weder sie
noch ich noch die Funktionäre – Wert auf meine Teilnahme legte. Für mich bedeutete
das einen freien Abend, den ich vor dem Fernseher mit zwei Tüten Chips und einem
Bier zubrachte. Die Chips hatte mir Christine zugesteckt, das Bier stammte aus einem
Getränkeautomaten im Hauptgebäude.
Früh am
nächsten Morgen ging es mit einer kleinen Laufrunde weiter. Katinka hatte mir freigestellt,
sie zu begleiten, und irgendwie … ich weiß auch nicht, aber anscheinend hatte ich
in letzter Zeit eine Art Ehrgeiz entwickelt, der mich anders als sonst reagieren
ließ. Zu meiner eigenen Überraschung hörte ich mich sagen, dass ich mitkäme, und
nicht einmal die frische Brise, die uns draußen erwartete, konnte mich abhalten.
»Mach dir
keine Sorgen«, sagte ich, als wir schon eine Weile unterwegs waren. »Das geht vorbei.«
»Was?«
»Das mit
dem Ehrgeiz. Alles heilbar.«
Auf dem
Kienbaumer Leihrad fuhr es sich prächtig. Das Ding hatte bestimmt dreimal so viel
gekostet wie meine eigene Rennmaschine zu Hause. Die märkischen Kiefern bogen sich
im Wind, über uns trieben mächtige Wolken, aber im Wald lief und radelte es sich
geschützt.
Später verzog
sich Katinka zur Krankengymnastik. Krank war sie zwar nicht, aber Gymnastik musste
sein. Dr. Karst wollte ebenfalls kommen und mit ihr und weiteren Leichtathleten
die Etappen bis London durchsprechen. Welche Symptome bei Trainingsüberlastung auftreten
könnten und wie man darauf zu reagieren habe. So ungefähr.
Ich erkundigte
mich in der Verwaltung, wie es um die Besichtigung der Unterdruckkammer stünde,
und erhielt die Erlaubnis, mich einer Führung am Nachmittag anschließen zu dürfen.
»Echt? Heute?
Ohne weitere Genehmigung?«
»Was für
eine Genehmigung?«, lächelte die Verwaltungsdame, die natürlich auch eine Figur
hatte, als seien Situps, Klimmzüge und Jogging ihr täglich Brot.
»Naja, ich
dachte, so ein DDR-Relikt …«
»Meines
Wissens existiert die DDR seit über 20 Jahren nicht mehr.«
»Ja, eben.
Und deshalb dachte ich …«
Ich brach
ab, weil sie immer noch so hübsch lächelte und ich ihr einfach nicht erklären konnte,
was ich gedacht hatte. Wusste es ja selbst nicht!
»Und was
kostet das?«, schob ich eine letzte Frage hinterher.
»Nichts.
Service des Hauses.«
»Danke«,
murmelte ich und trollte mich. Den Zwangsumtausch an der Grenze gab es ja auch schon
ein paar
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