Glueckstreffer - Roman
aus dem Ersten Weltkrieg, The Doughboy genannt, gabelte sich der Weg. Das Denkmal zeigte einen amerikanischen Soldaten, der erschöpft und in abgerissener Kleidung, aber lächelnd aus der Schlacht heimkehrte. Von hier aus wandte sie sich nach Norden und lief unter hohen Zedern hindurch über eine sanft abfallende Hügelkette. Dort drüben an der Hecke , sagte sie wenige Minuten später zu sich, den Blick fest auf den höchsten Punkt des nächsten Hügels gerichtet. Weit und breit war niemand, der sie hören konnte, aber laut zu sprechen beruhigte ihre Nerven.
Sophie ging schneller. Sie bog in einen Trampelpfad ein, der sich die letzten hundert Meter im Zickzack zwischen Büschen, Bäumen und Gräberreihen hindurchschlängelte. Schließlich hatte sie die Reihe hoher Birken auf der Anhöhe erreicht. Nach weiteren fünfundzwanzig Metern gab eine Hecke den Blick auf das Grab ihrer Eltern frei.
Sophie blieb abrupt stehen. Vor dem Geviert mit den Gräbern, auf die Sophie zusteuerte, kauerte ein Mann auf dem Rasen. Er hatte ihr den Rücken zugewandt und die Hände tief in die Kängurutasche seines Sweatshirts vergraben. Den Blick hielt er dabei unverwandt auf eines der Gräber gerichtet.
Sophie überlegte einen Moment. Konnte es tatsächlich Zufall sein, dass die einzige andere Person, die sich außer ihr noch auf dem Friedhof befand, ausgerechnet das Grab neben dem ihrer Eltern besuchte? Wohl eher nicht. Sie geriet nicht in Panik, empfand die Vorstellung, kurz vor Einbruch der Dunkelheit mit einem fremden Mann allein auf dem Friedhof zu sein, aber durchaus als unheimlich – ganz zu schweigen von der Tatsache, dass sich der Fremde seltsamerweise für den Grabstein ihrer Familie zu interessieren schien. Langsam wandte sie sich ab, um möglichst unbemerkt wieder zu verschwinden.
Sie kam keine drei Schritte weit.
»Hallo! Bitte bleiben Sie. Ich wollte gerade gehen.« Es war zweifellos eine Männerstimme, die sie rief, die aber dennoch einen kindlichen, melodischen Klang hatte.
Sophie fuhr herum.
Der Mann war klein und breitschultrig. Die letzten Strahlen der untergehenden Sonne spiegelten sich in den Gläsern seiner Sonnenbrille. Er kam lächelnd auf Sophie zu. Sein Gang hatte etwas Hüpfendes. »Bitte«, fuhr der Fremde fort. »Ich bin hier fertig.«
Sophie musterte ihn aufmerksam. Beim Näherkommen stellte sie fest, dass er jünger war, als sie zuerst angenommen hatte, an die zwanzig, schätzungsweise. Unter anderen Umständen hätte sie es vielleicht mit der Angst zu tun bekommen. Doch das gesamte Erscheinungsbild des Jungen wirkte alles andere als beunruhigend. Sein Kopf war im Verhältnis zum Körper ungewöhnlich groß, sein Gesicht auffällig rundlich. Die Augen allerdings blieben hinter den verspiegelten Gläsern der Sonnenbrille verborgen.
Sophie räusperte sich. Sie hatte plötzlich einen Kloß im Hals. »Haben Sie gefunden, wonach Sie suchten?«, fragte sie schüchtern, als er nur noch wenige Schritte von ihr entfernt war.
Der junge Mann grinste, blieb weder stehen noch verlangsamte er seine Schritte. »Bin nicht von hier«, erwiderte er. »Musste was für meinen Dad erledigen«, fügte er mit einem noch breiteren Lächeln hinzu, grub seine Hände noch tiefer in die Sweatshirttasche und ging ohne ein weiteres Wort an ihr vorbei in Richtung Hauptweg.
Sophie sah dem Fremden noch einige Sekunden verwirrt nach und wunderte sich über seine seltsame Stimmlage, als am Fuß des Hügels eine andere, heftig winkende Gestalt ihre Aufmerksamkeit erregte.
»Sophie! Warte auf mich!«
Die Stimme gehörte eindeutig Evalynn. Bewegungslos beobachtete Sophie, wie Evi, die ebenfalls eine Sonnenbrille trug, an dem seltsamen jungen Mann vorüber- und hastig die Anhöhe zu ihr hinaufeilte.
»Ich wollte eigentlich allein sein. Schon vergessen?«, empfing Sophie die Freundin ein wenig schroffer, als sie es meinte.
»Wolltest du?«, entgegnete Evalynn.
»Tu doch nicht so.«
»Also … Justin hat erst am späten Abend mit meiner Rückkehr gerechnet und ein paar Freunde eingeladen. Sie sehen sich das Footballspiel im Fernsehen an. Bin mir wie das fünfte Rad am Wagen vorgekommen. Deshalb habe ich mich wieder ins Auto gesetzt und bin hergefahren.« Sie hielt inne, sah, wie Sophie die Stirn runzelte. »Du sparst dir auf diese Weise das Taxi für die Heimfahrt.« Sie lächelte spitzbübisch. »Wenn du willst, kannst du mir ja das Taxigeld geben.«
Sophie lächelte und entspannte sich allmählich. »Da kannst du lange warten.
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