Glueckstreffer - Roman
Lautes Hupen – für Sophie das Zeichen herauszukommen. Kurz darauf stiegen sie vor Evalynns Haus wieder aus. Justin schraubte gerade eine neue Glühbirne in die Küchenlampe. Die beiden Frauen gingen an ihm vorbei ins Wohnzimmer, wo der Plasmafernseher stand. Das Standbild zeigte die Nahaufnahme des Geckos aus der Geico-Werbung mit weit aufgesperrtem Maul.
»Setz dich«, sagte Evalynn ohne weiteren Kommentar.
»Hallo, Sophie«, begrüßte Justin den Gast einige Minuten später und ließ sich in einen Sessel fallen. »Hat Ev es dir schon erzählt?«
»Kein Wort.«
Justin rieb sich die Hände. »Na, dann kannst du dich auf etwas gefasst machen. Wir haben es mindestens schon zehnmal abgespielt, und …«
»Sei still!«, unterbrach Evalynn ihn streng. »Sie soll es selbst sehen.«
Sophies Blick wanderte zwischen den beiden hin und her. Evalynn kaute auf ihrer Unterlippe und versuchte, keine Miene zu verziehen. Justin dagegen tat sich keinen Zwang an und grinste breit. Sophie wusste nicht, was sie von dem Verhalten der beiden halten sollte, ahnte aber nichts Gutes.
Evalynn nahm neben Sophie auf der Couch Platz und hielt die Fernbedienung in Richtung Flachbildschirm. »Es geht los«, verkündete sie feierlich und drückte auf die Play-Taste.
Der Gecko erwachte zum Leben, sagte kurz sein Sprüchlein in übertriebenem Cockney-Akzent auf, und dann war der Spot auch schon beendet. Der Vorspann der mittlerweile zwei Stunden alten Achtuhrnachrichten flimmerte über den Bildschirm, und der gestylte Nachrichtensprecher von Channel 2 erschien in Großaufnahme.
»Guten Abend. Ich begrüße Sie zu den Abendnachrichten von Channel 2«, begann er mit aalglattem Lächeln. »Ich bin Kip Waverly.« Wie auf Knopfdruck wich das Lächeln des Nachrichtensprechers plötzlich einer ernsten, aufgesetzt bedeutungsschwangeren Miene. »Im Rahmen unserer Lokalnachrichten schalten wir jetzt zu Lori Acres nach Tacoma. Hallo, Lori?«
Beim Stichwort »Tacoma« zuckte Sophie zusammen.
Auf dem Bildschirm erschien eine klassisch korrekt gekleidete und geschminkte Frau Ende zwanzig. Sie stand unmittelbar vor dem Postamt, das Sophie einmal pro Woche aufsuchte. Ihr blondiertes Haar wehte leicht im Wind.
»Danke, Kip«, meldete sie sich mit dramatischem Unterton zu Wort. »In unseren wirtschaftlich schwierigen Zeiten mit hoher Arbeitslosigkeit, Firmenpleiten und Zwangsversteigerungen verlieren wir leicht den Blick dafür, dass hinter all den Zahlen, Fakten und Begriffen Menschen stehen: normale Bürger, die versuchen zu überleben und ihren amerikanischen Traum vom Streben nach Glück verwirklichen wollen.« Lori machte eine Kunstpause und verzog süffisant die Lippen. »Aber was geschieht«, fuhr sie fort, »wenn das Glück in unerreichbare Ferne gerückt zu sein scheint? Einige von uns suchen Hilfe innerhalb der Familie oder bei Freunden. Andere wenden sich an religiöse oder spirituelle Heilsbringer. Aber wie viele von uns würden mit ihren Sorgen an die Öffentlichkeit gehen? Vermutlich nur wenige. Doch eine Person aus dem Großraum Seattle hofft sehnsüchtig auf den Zuspruch ihrer Mitmenschen.«
Sophie krallte ihre Finger in die Sofapolster, als die Reporterin eine Ausgabe der Seattle Times in die Kamera hielt. »Dank des Tipps eines unserer Zuschauer sind wir auf ein ungewöhnliches Zeitungsinserat aufmerksam geworden. Und heute Abend möchte ich Ihnen den verzweifelten Hilfeschrei übermitteln, der an uns alle gerichtet ist.«
Kip Waverly unterbrach die Reporterin. »Entschuldigen Sie, Lori, sagten Sie gerade: Zeitungsinserat?«
»Ja, das ist richtig, Kip. In den letzten Wochen ist eine anonyme Kleinanzeige in der Seattle Times erschienen. Wenn Sie erlauben, lese ich den kurzen, aber ergreifenden Appell an unser aller Mitgefühl vor.« Lori machte eine Kunstpause und hielt die Zeitung so in die Kamera, dass sie weiterhin vorteilhaft im Bild blieb. Dann artikulierte sie mit Betonung jedes einzelne Wort der Anzeige laut und deutlich: »›Gesucht: Glück. Bitte helfen Sie mir zu finden, was ich verloren habe. Vorschläge erbeten unter Postfach drei-zwei-neun-sieben, Tacoma, Washington, neun-acht-vier-null-zwei. Bin nur an dauerhaftem Glück interessiert. Vergängliches unerwünscht.‹«
»Wow«, tönte Kip atemlos im Hintergrund aus dem Nachrichtenstudio. »Wäre mir nie eingefallen, eine Anzeige aufzugeben, um das Glück zu suchen. Aber wenn man wirklich Hilfe braucht, greift man wohl nach jedem Strohhalm.«
»Ja, ich bin ebenfalls
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