Glueckstreffer - Roman
schloss die Hand mit dem Zettel zur Faust und sah in die verdutzten Gesichter von Evalynn und Justin.
»Sophie! Was ist los?«
Sophie fixierte Justin. »Ich muss mit Evi allein sprechen.« Ihre Stimme war nur ein heiseres Flüstern.
»Klar doch«, erwiderte er, stand auf und legte seiner Frau eine Hand auf die Schulter. »Ich bin in der Diele, falls du mich brauchst.«
»Du musst jetzt unbedingt ehrlich zu mir sein, Evi«, begann Sophie, nachdem Justin außer Hörweite war. »Es mag seltsam klingen, aber … Weißt du, wie meine Eltern ums Leben gekommen sind?«
Evalynn warf ihr einen verwirrten Blick zu. »Natürlich. Bei einem Autounfall.«
»Ja, aber hast du eine Ahnung, wie es dazu gekommen ist?«
Evalynn begriff noch immer nicht, worauf Sophie hinauswollte. »Schlechte Sicht, regennasse Straße, oder?«
»Hast du je ohne mich mit Ellen darüber gesprochen?«
»Vielleicht. Durchaus möglich.«
»Hat sie erwähnt, dass etwas … dass jemand … Schuld an diesem Unfall trägt?«
»Nein. Sophie, worauf willst du hinaus?«
Sophie betrachtete die geschlossene Faust in ihrem Schoß. Sie erinnerte sich nur zu gut, den Papierstreifen schon einmal so fest in ihrer Hand gehalten zu haben. »Ich möchte dir etwas erzählen. Aber du musst schwören, es für dich zu behalten.«
»Ich verspreche es.«
»Und du erzählst es auch nicht deinem Mann?«
Evalynn warf einen flüchtigen Blick über die Schulter und flüsterte: »Du kannst mir vertrauen. Justin muss nicht alles wissen.«
Sophie holte tief Luft. Seit Jahren hatte sie schon den Wunsch gehabt, Evalynn in ihr Geheimnis einzuweihen, doch sie hatte nie den Mut dazu gefunden. Jetzt war ihr klar, dass sie die Hilfe ihrer Ziehschwester brauchte, wollte sie herausfinden, auf welche geheimnisvolle Weise dieser Zettel plötzlich aufgetaucht war, und vor allem, wer ihn geschickt hatte. Es war Zeit, Evalynn ins Vertrauen zu ziehen.
In allen Einzelheiten erzählte Sophie ihrer Schwester, was am Abend ihres neunten Geburtstages geschehen war und zum Tod von Mutter, Vater und Großmutter geführt hatte. Sophie sprach sehr offen über ihre eigene Rolle in diesem Albtraum und darüber, wie dumm sie gewesen war anzunehmen, die Prophezeiung würde sich bewahrheiten. Evalynn hörte ihr gebannt zu und war mehrmals kurz davor, ebenfalls in Tränen ausbrechen.
Als Sophie geendet hatte, beugte Evalynn sich zu ihr und schloss sie in die Arme. »Dich trifft keine Schuld an dem, was geschehen ist. Es war ein Unfall! So etwas passiert!« Sie lehnte sich zurück. »Aber wenn du es so lange für dich behalten hast – warum erzählst du es mir jetzt?«
Sophie schlug die Augen nieder. »Weil … obwohl es ein Unfall war, mich doch ein Großteil der Schuld an seinem Zustandekommen trifft.« Sie starrte auf ihre Hand. Langsam öffnete sie die Finger. »Und irgendjemand dort draußen weiß es.«
Evalynn nahm den Zettel aus Sophies Hand und las den Sinnspruch: Glück ist eine Gabe, die in deinem Inneren leuchtet. Dein Herzenswunsch wird bald in Erfüllung gehen . Evalynn sah auf. »Das ist zwanzig Jahre her! Wie willst du dich daran noch erinnern? Vielleicht hatte dein Sinnspruch einen ähnlichen Wortlaut? Diese Zettel werden zu Tausenden gedruckt! Könnte doch reiner Zufall sein.«
Sophie schüttelte den Kopf. »Zufällig ist daran nur, dass der Zettel durch Garretts blödsinnige Suchanzeige zu mir zurückgekommen ist. Unheimlich ist, dass es tatsächlich die Prophezeiung von jenem Abend ist. Und nicht nur das. Es ist sogar derselbe Zettel!«
Evalynn musterte Sophie skeptisch. »Wieso bist du dir da so sicher?«
»Dreh ihn um«, sagte Sophie und erschauderte unwillkürlich.
Als Evalynn sah, was jemand auf die Rückseite geschrieben hatte, schnappte sie so sehr nach Luft, dass sie sich beinahe verschluckte. Dort stand in verblasster Tinte: Sophia Maria Jones, 21. September 1989 .
»Nein!«, wehrte sie entschieden ab. »Das muss ein übler Scherz sein. Alles andere ist undenkbar.«
»Wenn dem so ist, kann ich die Pointe nicht erkennen.«
»Die einzige Person, der du es je erzählt hast, ist Ellen?«
»Soweit ich mich erinnern kann, ja. Vielleicht auch dem Therapeuten, der mich als Kind behandelt hat. Aber sonst niemandem.«
»Du meinst also, Ellen hat etwas damit zu tun? Dass sie dir das geschickt hat?«, wollte Evalynn wissen.
Sophie zuckte die Achseln. »Keine Ahnung. Ich würde ja gern glauben, dass sie’s nicht gewesen ist. Aber sie spielt gern Schicksal, das haben wir
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