Gluehende Dunkelheit
bisschen korpulent zwar für meinen Geschmack, aber sie kann es sich nicht leisten, wählerisch zu sein. Nicht bei ihrem Alter und ihrer Erscheinung.« Flüchtig warf Evylin eines ihrer goldenen Ringellöckchen über die Schulter.
»Und wir dachten alle, bei ihr bestünden keine Aussichten mehr auf eine Heirat.« Felicity schüttelte den Kopf über die Wunder dieses Universums.
»Sie passen gut zusammen«, meinte ihre Mutter. »Er ist eindeutig ein Bücherwurm. Ich konnte gestern Abend beim Dinner nicht einem einzigen Wort ihrer Unterhaltung folgen, nicht das kleinste bisschen. Er muss ein Bücherwurm sein.«
»Wisst ihr, was das Beste an der ganzen Sache ist?«, fügte Felicity hinzu, stutenbissig bis zum Letzten. Die gemurmelte Antwort ihres Vaters »All das Geld« überhörte sie entweder oder ignorierte sie. »Wenn sie tatsächlich heiraten sollten, dann wird er sie mit sich zurück in die Kolonien nehmen.«
»Ja, aber wir werden uns damit abfinden müssen, dass jede wichtige Persönlichkeit wissen wird, dass wir einen Amerikaner in der Familie haben«, milderte Evylin die Freude.
»Was sein muss, muss sein, meine Lieben. Was sein muss, muss sein«, meinte ihre Mutter, während sie sie wieder hineinscheuchte und die Tür fest hinter ihnen schloss. Sie überlegte bereits, wie sie die Ausgaben für Alexias Hochzeit so gering wie möglich halten konnte, und zog sich mit ihrem Ehemann ins Arbeitszimmer zurück, um die Angelegenheit mit ihm zu besprechen.
Natürlich waren Miss Tarabottis Verwandte äußerst voreilig. Alexias Absichten bezüglich Mr MacDougall waren rein platonischer Natur. Sie wollte zur Abwechslung einfach einmal nur aus dem Haus kommen und mit einem Menschen, irgendeinem Menschen, reden, der sich eines tatsächlich funktionierenden Verstandes rühmen konnte. Mr MacDougalls Absichten mochten vielleicht anderer Natur sein, doch er war schüchtern genug, dass Miss Tarabotti mühelos alle verbalen Vorstöße in romantischer Richtung ignorieren konnte. Das tat sie anfänglich dadurch, dass sie ihn nach seinen wissenschaftlichen Bestrebungen befragte.
»Wie kommt es, dass Sie sich dafür interessieren, die Seele zu messen?«, fragte sie freundlich, erfreut über die gewonnene Freiheit und darum bemüht, sich dem gegenüber nett zu verhalten, dem sie diese Freiheit verdankte.
Es war ein unerwartet schöner Tag, angenehm warm mit einem sanften, leichten Lüftchen. Miss Tarabottis Sonnenschirm wurde tatsächlich zu seinem bestimmungsgemäßen Verwendungszweck zum Einsatz gebracht, da das Verdeck von Mr MacDougalls Buggy offen war und sie nicht mehr Sonne als unbedingt nötig bekommen wollte. Schon der kleinste Hauch Tageslicht, dann vertiefte sich ihre Bräune zu einem Mokkaton, und ihre Mama bekam hysterische Anfälle. Mit Hut und Sonnenschirm konnten die Nerven ihrer Mama völlig beruhigt sein – zumindest was diesen Bereich anging.
Mr MacDougall schnalzte mit der Zunge, und seine Pferde verfielen in einen trägen Schritt. Ein rötlichblonder Gentleman mit fuchshaftem Gesicht in einem langen Trenchcoat verließ seinen Posten in der Nähe des Laternenpfahls vor der Tür der Loontwills und folgte ihnen in diskretem Abstand.
Mr MacDougall warf einen Blick auf seinen Fahrgast. Sie war nicht, was man der Mode nach als hübsch bezeichnete, aber ihm gefiel der markante Schwung ihres Kinns und das entschlossene Funkeln in ihren dunklen Augen. Er hatte eine gewisse Schwäche für willensstarke Damen, ganz besonders wenn sie auch noch über ein derart wohlgeformtes Kinn verfügten, über Augen, die groß und dunkel waren, und eine attraktive Figur obendrein. Er entschied, dass sie belastbar genug schien, den wahren Grund zu erfahren, warum er Seelen messen wollte, und zudem gab es eine schön dramatische Geschichte ab.
»Hier ist es nicht schlimm, es zuzugeben, vermute ich«, begann er, »aber in meinem Land würde man nicht davon sprechen, müssen Sie wissen.« Wohlversteckt hinter dem schwindenden Haaransatz und der Brille hatte Mr MacDougall einen kleinen Hang zum Theatralischen.
Mitfühlend legte ihm Miss Tarabotti eine Hand auf den Arm. »Mein Lieber, ich hatte nicht die Absicht, neugierig zu erscheinen. Ich hoffe, Sie halten meine Frage nicht für aufdringlich?«
Der Gentleman errötete und rückte nervös seine Brille zurecht. »O nein, natürlich nicht. Nichts dergleichen. Es ist nur, dass mein Bruder verwandelt wurde. In einen Vampir, verstehen Sie? Mein älterer Bruder.«
Alexias Antwort
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