Gluehende Dunkelheit
ging. Mit einer freien Hand tätschelte er eine neue Ausbuchtung seiner Weste mit den unzähligen Taschen. Warum nur, fragte er sich, wanderte ein Mann mit einer Spritze durch den Hydepark?
Er drehte sich noch einmal um, um das Haus der Loontwills zu betrachten, und ein plötzliches Lächeln kräuselte sein kantiges Gesicht, als sein Blick auf die Kutsche von Woolsey Castle fiel, die in der Nähe wartete. Ihr Wappen strahlte in der Sonne des späten Nachmittags: ein gevierter Schild, von dem zwei Viertel eine Burg mit dem Mond im Hintergrund und zwei Viertel eine mondlose Sternennacht zeigten.
Er fragte sich, ob sein Herr und Meister wohl wirklich und wahrhaftig katzbuckelte.
Der Earl of Woolsey war gehüllt in einen Anzug in dunklem Schokoladenbraun, eine Halsbinde aus karamellfarbener Seide und eine Aura schlecht verhohlener Ungeduld. Er hielt seine Ziegenlederhandschuhe in einer Hand und schlug sie rhythmisch in die Handfläche der anderen, als Miss Tarabotti das Empfangszimmer betrat. Augenblicklich hörte er damit auf, doch seine Unruhe war ihr nicht entgangen.
»Was ist Ihnen denn für eine Hummel ins Hosenbein gekrochen?«, fragte Miss Tarabotti ohne auch nur den Versuch einer förmlichen Begrüßung. Förmlichkeit war bei Lord Maccon reinste Verschwendung. Die Arme in die Hüften gestemmt bezog sie auf dem runden, schlüsselblumengelben Teppich vor ihm Position.
Der Earl konterte mit einem verdrießlichen »Und wo haben Sie den ganzen Tag gesteckt?«
Miss Tarabotti antwortete nur ausweichend. »Aus.«
Damit gab sich der Earl nicht zufrieden. »Aus mit wem?«
Alexia zog beide Augenbrauen hoch. Er würde es letztendlich ja doch erfahren, von Professor Lyall, deshalb antwortete sie schelmisch: »Mit einem netten jungen Wissenschaftler.«
»Doch nicht etwa dieser Butterkugel von Kerl, mit dem Sie gestern Abend beim Dinner ununterbrochen geschwatzt haben?« Voller Entsetzen sah Lord Maccon sie an.
Miss Tarabotti starrte mit böse funkelnden Augen zurück. Insgeheim aber freute sie sich über seine Reaktion. Er hatte es bemerkt! »Zufällig ist es so, dass Mr MacDougall ein paar absolut faszinierende Theorien zu einer weiten Bandbreite von Themen zu bieten hat, und er ist zudem auch an meiner Meinung interessiert. Was mehr ist, als ich von gewissen anderen Gentlemen aus meiner Bekanntschaft behaupten kann. Es war ein wunderschöner Tag und ein bezaubernder Ausflug, und er ist ein sehr angenehmer Gesprächspartner. Eine Eigenschaft, die Ihnen, wie ich mir sicher bin, völlig unbekannt ist.«
Lord Maccon wirkte mit einem Mal sehr argwöhnisch. Seine Augen wurden schmal, und ihre Farbe veränderte sich zu demselben hellen Karamellton, den auch seine Halsbinde zeigte. »Was haben Sie ihm erzählt, Miss Tarabotti? Irgendetwas, das ich wissen sollte?«
Er fragte mit seinem BUR-Tonfall in der Stimme.
Miss Tarabotti sah sich um, als erwartete sie, dass jeden Augenblick Professor Lyall mit einem Notizblock oder einer Metallplatte und einem Stift erscheinen würde. Resigniert stieß sie einen Seufzer aus. Offensichtlich suchte sie der Earl in seiner offiziellen Funktion auf. Töricht von ihr, etwas anderes erhofft zu haben, schalt sie sich in Gedanken. Dann fragte sie sich, worauf genau sie eigentlich gehofft hatte. Eine Entschuldigung? Von Lord Maccon?! Ha!
Sie setzte sich in einen kleinen Korbsessel auf einer Seite des Sofas, sorgsam darauf bedacht, angemessenen Abstand zwischen ihnen zu wahren. »Es wird Sie eher interessieren, was er mir erzählt hat«, erwiderte sie. »Er glaubt, übernatürlich zu sein ist eine Art Krankheit.«
Lord Maccon, der ein Werwolf war und solche Theorien nicht zum ersten Mal hörte, verschränkte drohend die Arme vor der Brust und baute sich vor ihr auf.
»Ach, um Himmels willen!« Miss Tarabotti schnalzte missbilligend mit der Zunge. »Setzen Sie sich doch endlich!«
Lord Maccon setzte sich.
Miss Tarabotti fuhr fort. »Mr MacDougall … das ist nämlich sein Name, wissen Sie? Mr MacDougall glaubt, dass der Zustand des Übernatürlichen von einem durch Blut übertragenen Erreger ausgelöst wird, der auf manche Menschen eine Wirkung hat, aber auf andere wiederum nicht, weil manche über eine gewisse körperliche Eigenschaft verfügen, die andere nicht haben. Nach dieser Theorie haben mehr Männer besagte Eigenschaft, und deshalb überleben sie die Metamorphose häufiger als Frauen.«
Lord Maccon lehnte sich entspannt zurück, wobei das winzige Sofa unter seinem Gewicht
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