Gluehende Dunkelheit
dass das klug ist, Miss?«
»Klug wäre es, wenn ich mein Zimmer niemals mehr verließe«, konstatierte Miss Tarabotti.
Floote warf ihr einen skeptischen Blick zu, dann jedoch ging er nach unten, um eine Droschke zu besorgen.
Miss Tarabotti rief ihre Zofe und machte sich daran, eines ihrer zweckdienlicheren Abendkleider anzulegen. Es war eine Kreation aus elfenbeinfarbenem Taft mit kleinen Puffärmeln und einem bescheidenen runden Ausschnitt, verziert mit himbeerroten Biesen und einem Besatz aus blassgoldener Spitze. Zugegeben, es war bereits aus der vorletzten Saison und hätte vermutlich längst umgearbeitet werden müssen, aber es war bequem, und Alexia betrachtete das Kleid als einen alten Freund, und da sie wusste, dass sie darin ganz passabel aussah, neigte sie dazu, es in Zeiten der Anspannung zu tragen. Lord Akeldama erwartete Grandeur, aber Miss Tarabotti fühlte sich schlicht und ergreifend nicht in der emotionalen Stimmung für ihren Traum aus rotbrauner Seide, nicht an diesem Abend.
Sie legte sich das Haar in Locken über die immer noch gezeichnete Schulter, wobei sie einen Teil davon mit ihren zwei Lieblingshaarnadeln hochsteckte, die eine aus Silber, die andere aus Holz. Den Rest flocht sie locker mit einem elfenbeinfarbenen Band. Es bildete einen schmeichelhaften Kontrast zu ihren dunklen Flechten.
Als sie damit fertig war, war es vor ihrem Fenster bereits dunkel. Ganz London zog sich in diesen wenigen Stunden nach Sonnenuntergang, bevor der Mond am Himmel emporstieg, in die Sicherheit der Häuser zurück. Es war eine Zeit, die die Übernatürlichen Zwienacht nannten: gerade genug Zeit, um die Werwölfe hinter Schloss und Riegel zu bringen, bevor der Mond sie zu rasenden Bestien werden ließ, die sich durch nichts und niemanden mehr aufhalten ließen.
Floote bedachte Miss Tarabotti mit einem weiteren langen warnenden Blick, als er ihr die Trittstufen der Kutsche hinaufhalf. Er war nicht damit einverstanden, dass sie in einer solchen Nacht ausging. Ganz sicher würde sie sich in Schwierigkeiten bringen. Floote befürchtete dies ständig, wann immer er sie nicht im Auge hatte, aber ganz besonders bei Vollmond.
Miss Tarabotti runzelte die Stirn, da sie genau wusste, was der Butler dachte, trotz seiner vollkommen reglosen Miene. Dann lächelte sie schwach. Sie musste sich eingestehen, dass er mit seiner Ansicht vermutlich richtig lag.
»Seien Sie vorsichtig, Miss«, wies Floote sie mit strenger Stimme an, ohne dabei allerdings große Hoffnung zu hegen. Schließlich war er vor ihr der Butler ihres Vaters gewesen, und man brauchte nur daran zu denken, was mit Alessandro geschehen war. Sie neigten dazu, ein eigensinniges und gefährliches Leben zu führen, diese Tarabottis.
»Oh Floote, hören Sie schon auf, mich zu bemuttern! Das ist für einen Mann Ihres Alters und Berufs äußerst unkleidsam. Ich werde nur ein paar Stunden fort sein, und außerdem bin ich völlig in Sicherheit. Sehen Sie!« Sie deutete hinter Floote zur Ecke des Hauses, wo zwei Gestalten wie Fledermäuse aus den Schatten der Nacht auftauchten. Sie bewegten sich mit übernatürlicher Anmut und blieben ein paar Meter von Alexias Mietkutsche entfernt stehen, offensichtlich bereit, ihr zu folgen.
Floote sah nicht im Mindesten beruhigt aus. Er schnaubte auf höchst unbutlermäßige Weise und schloss fest die Wagentür.
Da Miss Tarabottis BUR-Wächter Vampire waren, brauchten sie keine eigene Kutsche, auch wenn sie es vermutlich bevorzugt hätten, eine zu haben. Es stand ein wenig mit der geheimnisvollen Aura des Übernatürlichen in Widerspruch, hinter einem öffentlichen Verkehrsmittel herzutraben. Doch die Übung verlangte ihnen keinerlei körperliche Anstrengung ab. Deshalb war es genau das, was Miss Tarabotti sie zu tun zwang, indem sie ihren Fahrer anwies loszufahren, ohne ihnen die Gelegenheit zu geben, ein Beförderungsmittel für sich selbst zu finden.
Miss Tarabottis kleine Mietkutsche bahnte sich langsam ihren Weg durch das Gedränge des Mondfeierverkehrs und kam vor einem der schicksten Domizile von ganz London zum Stehen, dem Stadthaus von Lord Akeldama.
Der geckenhafte Vampir erwartete sie bereits an der Haustür, als sie aus der Kutsche stieg. »Alexia, du süßestes aller Zuckerstückchen. Was für eine herrliche Art, die Vollmondnacht zu verbringen, in deiner köstlichen Gesellschaft! Wer könnte sich schon irgendetwas anderes im Leben wünschen?«
Miss Tarabotti musste über dieses Übermaß an Galanterie
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