Glut der Gefuehle - Roman
hob den Kopf, und Margrave beugte
sich vom gegenüberliegenden Sitz herüber. In der Finsternis sah sie sein Gesicht nur verschwommen. Sein Atem roch nach Pfefferminze. Also hatte er geraucht. Auch an seinen Kleidern haftete süßlicher Zigarrenduft.
»Endlich bist du wach, meine Liebe. Setz dich auf und sprich mit mir. Schon seit Stunden sehne ich mich nach einer unterhaltsamen Konversation. Dass du so lange geschlafen hast, war verdammt unangenehm. So etwas tust du bloß, um mich zu ärgern.«
»Warum ich geschlafen habe, weißt du sehr gut – wegen der Drogen.« Ihre Zunge fühlte sich nicht mehr dick an, aber ihr Mund war immer noch trocken. »Kann ich etwas Wasser bekommen?«
»Nein, aber Brandy. Möchtest du einen Schluck?«
India nickte.
Er sah die Bewegung, doch er wollte eine Antwort hören.
»Wenn ich dir das Fläschchen geben soll, musst du sprechen.«
»Ja.«
»Sonst nichts?«
»Ja, bitte.«
»Sehr gut.« Er griff in die Innentasche seines Gehrocks und zog eine kleine Silberflasche hervor. »Früher hat sie meinem Vater gehört«, verkündete er und reichte sie India. »Nur zu deiner Beruhigung, der Brandy enthält keine Drogen.«
In der Dunkelheit war es unmöglich, die Flasche zu nehmen, ohne Margraves Hand zu berühren. Ein eleganter Handschuh aus butterweichem Leder umhüllte seine schmalen Finger. Als er ihre Haut streifte, konnte India einen Schauer nicht unterdrücken. Sie hoffte, er würde das Frösteln der Kälte zuschreiben.
»Danke.« India nahm einen Schluck Brandy, der ihr brennend die Kehle hinabrann. »Wohin fahren wir?«
»Nach Marlhaven.«
Also nicht nach London. Sie hatte gehofft, die Reise ginge in die Hauptstadt. Dort würde Southerton sie zuerst suchen. »Erwartet uns deine Mutter?«
»Ich habe unseren Besuch nicht angekündigt. Aber keine Bange, sie wird uns nicht die Tür weisen. Ganz im Gegenteil, unsere Gesellschaft müsste sie beglücken.«
Lediglich die Gesellschaft ihres Sohnes, dachte India. Meine Anwesenheit wird sie bestenfalls dulden|... Sie drückte den Stöpsel in den Hals der Flasche und wollte sie Margrave zurückgeben.
»Nein, behalt sie«, sagte er. »Bevor die Nacht zu Ende geht, wirst du noch öfter eine Stärkung brauchen.«
Wie weit sie von Ambermede entfernt waren, wusste sie nicht. »Werden wir bald in Marlhaven eintreffen?«, fragte sie und legte die Flasche neben sich auf die Bank.
»Nein, vermutlich erst morgen, am späten Abend.«
Dann würden sie irgendwo Rast machen, überlegte sie. Vielleicht würde es ihr gelingen, dem Wirt oder einem Gast eine Nachricht für South anzuvertrauen. Natürlich durfte Margrave nichts davon bemerken.
So bequem, wie es in der beengten Kutsche möglich war, lehnte er sich zurück, nahm seinen Zylinder ab und warf ihn auf den Sitz. »Was du denkst, weiß ich sehr genau, Dini«, erklärte er in gelangweiltem Ton und fuhr sich mit behandschuhten Fingern durch das rotblonde Haar. »Soll ich’s dir sagen?«
»Wenn du willst...«
»Oh ja, das will ich. Obwohl du glaubst, ich könne deine Gedanken nicht erraten, lese ich in dir wie in einem offenen Buch. Jetzt fragst du dich zum Beispiel, ob dir
unsere Reise die Chance bieten wird, irgendwo eine Nachricht für den Viscount zu hinterlegen. Was du ihm mitteilen möchtest, weiß ich allerdings nicht. Vielleicht nur, dass du in Sicherheit bist. Oder dass du nach Marlhaven fährst. Vermutlich nahmst du an, ich würde dich nach London bringen.« Gleichmütig hob Margrave die schmalen Schultern. »Doch das ist unwichtig, weil Southerton keinen Brief von dir erhalten wird. Verstehst du mich, India? Dein Viscount ist tot. Ebenso sein Freund Westphal. Nun sind zwei Punkte vom Kompass verschwunden.«
»Du lügst!«
»Wirklich? Deiner Stimme nach zu urteilen, bist du nicht davon überzeugt.« Lässig verschränkte Margrave die Arme vor der Brust. »Hattest du ihn gern? Natürlich spreche ich von Southerton. Da Westphal erst vor kurzem in dein Leben trat, kanntest du ihn nicht gut genug.«
»Hast du gesehen, wie er ins Cottage ging?«
»Beantworte zuerst meine Frage! Dann werde ich deine beantworten. Eigentlich sollte das zwischen uns klar sein.«
»Ob ich ihn gern hatte? Auf eine ähnliche Weise, wie man Zahnschmerzen mag.«
In Margraves Gelächter schwang echte Belustigung mit. »Welch ein Pech für dich! Natürlich nehme ich nicht ernst, was du mir einreden willst. Aber es war ein beachtlicher Versuch, mir Sand in die Augen zu streuen. Leider kenne ich dich lange
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