Glut der Gefuehle - Roman
verständnisvoll. »Was kann ich tun?«
»Nichts. Alles Weitere muss ich selbst erledigen.«
»Aber|...«
Um seinen Freund zu unterbrechen, hob South eine behandschuhte Hand. »Das ist meine Aufgabe.«
»Immerhin wäre es möglich, dass ich Margrave nach Ambermede geführt habe.«
»Daran zweifle ich. Ich glaube eher, er hat mich bei meiner letzten Abreise aus London beobachtet. India beschuldigte mich, ich habe gewünscht, er würde mir folgen. Damit hatte sie Recht. Damals wusste ich noch nicht, dass es Margrave war, den ich aus der Reserve locken wollte. Doch das spielte keine Rolle, denn ich nahm an, Indias Beschützer würde alles tun, um sie aufzuspüren.« South schaute seiner weißen Atemwolke nach. »Leider habe ich ihm eine wirkungslose Falle gestellt.«
»Deshalb bist du mit der Pistole die Treppe heruntergeschlichen. Weil du dachtest, Margrave sei ins Cottage eingedrungen.«
»Ja, natürlich.«
Fluchend ballte West die Hände. »Also bist du fest entschlossen, das Problem allein zu lösen?«
South nickte.
»Sogar North hat seine Freunde um Hilfe gebeten.«
»Das war etwas anderes, denn Elizabeth ist nicht entführt worden, sondern geflohen. Als wir nach ihr suchten, brachten wir weder die Countess noch uns selbst in Gefahr. Damit lässt sich Indias Situation nicht vergleichen. Margrave will sie für sich allein haben. Wenn ihm das misslingt, soll sie auch niemand sonst bekommen.«
»Würde er sie umbringen?«
South antwortete nicht sofort. Während er vor sich hin
starrte, schimmerten seine Augen in der Farbe des kalten silbergrauen Himmels. »Ja«, sagte er schließlich. »In seinem kranken Gehirn wird er keinen anderen Ausweg sehen.«
»Vorher wird er versuchen, dich zu töten.«
»Wahrscheinlich.«
Über Wests Rücken rann ein Schauer. »So einfach kannst du dich nicht aus der Affäre ziehen, mein Freund.«
South lächelte, was seine ernste, frostige Miene kaum veränderte. »Warten wir’s ab.«
Nur langsam kam India wieder zu Sinnen. Nichts, was sie sah, war ihr vertraut – und nichts, was sie empfand, bereitete ihr keine Schmerzen. Leise stöhnte sie und versuchte, den Kopf zu heben. Eine schneebedeckte Landschaft geriet in ihr Blickfeld.
Als ihr Kopf wieder hinabsank, erkannte sie, was sie roch und spürte – die Hinterhand eines Pferdes. Ihr erster klarer Gedanke galt der Frage, ob sie sich zu Boden werfen sollte. Aber wie sie schon in der nächsten Sekunde feststellte, war das unmöglich. Sie konnte sich nicht rühren, denn ihr ganzer Körper war in eine Decke gewickelt und wie ein Bündel verschnürt. Hilflos lag sie quer über dem Rücken des Tiers, und jeder Hufschlag tat ihr weh.
»Ach, du bist zu dir gekommen?« Margraves kühle Stimme verriet, dass ihn die Antwort nicht besonders interessieren würde.
»Hilf mir... ich will mich aufrichten.«
»Wie bitte?«
Dass er ihre Worte nicht verstand, war keineswegs erstaunlich. Jedes Mal, wenn sie unter dem Einfluss von Drogen stand, fiel es ihr schwer, artikuliert zu sprechen.
»Ich will mich aufrichten«, wiederholte sie und versuchte, jede einzelne Silbe zu betonen.
»Später«, entgegnete Margrave und tastete hinter sich, um zu prüfen, ob sie immer noch wehrlos über dem Pferd hing.
»Das ertrage ich nicht|...« Selbst wenn er die Worte nicht verstand – er musste die Panik aus ihrer Stimme heraushören.
»Doch. Und du wirst noch viel mehr ertragen. Du bildest dir nur ein, du würdest es nicht aushalten. Mit dieser Lüge willst du mein Mitleid erregen.«
Weil ihr nichts anderes übrig blieb, schloss sie die Augen. In ihrem Kopf drehte sich alles. Wie ein Kaleidoskop erschien ein wechselndes Farbenspiel hinter ihren Lidern, erhellte oder verdunkelte sich. Sie glaubte, sie müsse erbrechen. Aber es war bloß eine eisige, wachsende Angst, die ihren Magen zusammenkrampfte und Schweißperlen auf ihre Stirn trieb. An ihren feuchten Wangen klebten Haarsträhnen, die sie nicht wegwischen konnte.
»Bitte«, flehte sie, obwohl sie sich geschworen hatte, niemals um Gnade zu betteln.
»Das hast du sehr hübsch gesagt«, lobte Margrave. »Dieses Wort werde ich noch oft aus deinem Mund hören. Darauf freue ich mich.«
Kurz danach versank sie wieder in einer barmherzigen Ohnmacht.
Als sie das nächste Mal erwachte, lag sie in einer Kutsche. An beiden Fenstern waren die Vorhänge zugezogen. Doch das spielte keine Rolle. Wie ihr die Dunkelheit hinter den Ritzen verriet, musste eine neue Nacht hereingebrochen sein. Sie
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