Glut der Gefuehle - Roman
spähte, erkannte sie, warum er sie zurückhalten wollte.
Nicht die Countess sorgte für diese maßlose Verwirrung, sondern South! Sekundenlang vergaß India zu atmen, ihr Puls raste wie wild. Er lebte! Und er war unverletzt! Unter der grauen Perücke sah sie die geliebten, leuchtenden Augen, unter den gemalten Falten das vertraute, herausfordernde Lächeln. Ja, dachte sie, dieses Gesicht werde ich immer noch lieben, auch wenn er eines Tages tatsächlich ein alter Mann ist... Und sie fand es gar nicht seltsam, dass sie in dieser gefährlichen Situation solche Zukunftsvisionen heraufbeschwor. Für wenige Herzschläge war sie allein mit ihm. Und an diesen kostbaren Moment wollte sie sich klammern, voller Angst vor der Rückkehr in die Realität.
Verwirrt schaute sie zur Tür ihres Schlafzimmers. »Wie bist du hereingekommen?«
Lässig lehnte South an einem Bettpfosten. »Die Tür war nicht versperrt. Wahrscheinlich hat der Earl keinen Besuch erwartet.«
»Wohl kaum«, stimmte sie zu und imitierte seinen sarkastischen Tonfall.
Für diese schlagfertige Antwort belohnte er sie mit seinem
gewinnenden Lächeln. Auch er spürte die Intimität des Augenblicks, in dem sie einen privaten Scherz teilten – etwas Albernes, Unwichtiges, jene Art von Humor, die Liebende belustigt und die Umstehenden ärgert.
Genau diese Wirkung übte das Lächeln auf den Earl aus. Sein ausgestreckter Arm versteifte sich, und India konnte ihn nicht wegschieben. Als sie darunter hindurchzuschlüpfen versuchte, versperrte ihr sein Körper den Weg.
»Lassen Sie India zu mir«, bat Southerton höflich. »Oder ich werde Sie töten. Das schwöre ich.«
Verblüfft runzelte Margrave die Stirn. Der Mann, dem er vor wenigen Minuten im Flur begegnet war, hatte mit einem ganz anderen Akzent gesprochen. Und von der unterwürfigen Haltung des Kohlenträgers war nichts mehr zu bemerken. Dieser Mann sah außerdem viel größer aus. Und die Morddrohung hatte so freundlich geklungen, dass Margrave sie ernst nahm.
»Wohl oder übel muss ich Ihnen gratulieren, Southerton. Von einer derart stümperhaften Verkleidung lasse ich mich normalerweise nicht täuschen. Aber die Dienstboten schaut man sich nicht genau an... Offenbar wurde ich mit meinen eigenen Waffen geschlagen. In der Tat, Viscount, eine beachtliche Leistung.«
Mit einer spöttischen Verbeugung bedankte sich South für das Kompliment. »Lassen Sie India los, Margrave!«
Unbehaglich stand die Countess am Fußende des Betts, die Hände vor der Brust zusammengepresst. »Bitte, Allen«, flehte sie ihren Sohn an, »du solltest den Wunsch des Gentlemans erfüllen.«
»Auch du willst mich verraten, Mutter?«, fragte Margrave leise. »Oder hat er dich bedroht?«
»Lady Margrave kann jederzeit gehen«, erklärte South und zeigte zur Tür.
Doch die Countess rührte sich nicht von der Stelle. »Großer Gott, Allen... er wird dir etwas antun!«
»Gewiss, er wird mich umbringen.« Margrave lachte unbekümmert. »Und das ist ein schlimmeres Schicksal, als würde er mir nur ein Auge blau schlagen.«
Während seine Aufmerksamkeit abgelenkt wurde, versuchte India ein zweites Mal, an seinem ausgestreckten Arm vorbeizuschlüpfen. Mühelos hielt er sie zurück. Nun warf sie sich gegen seine Schulter und brachte ihn aus dem Gleichgewicht. Taumelnd trat er aus dem Türrahmen, und sie lief an ihm vorbei. Aber er packte blitzschnell ihren Rock, zerrte India nach hinten und presste ihren Rücken an seine Brust, einen Arm um ihre Taille geschlungen.
Da sie vorerst nicht in unmittelbarer Gefahr schwebte, kam South ihr nicht zu Hilfe. Er beobachtete, wie sie Atem schöpfte und sich in Margraves Griff entspannte. Der Earl drückte sie jetzt nicht mehr so fest an sich, und South vermiet es, ihrem Blick zu begegnen, ihre Taktik mit einem Lächeln anzuerkennen. »Was hoffen Sie zu erreichen, Margrave?«, fragte er. »Glauben Sie, irgendwelche Rechte auf India zu besitzen?«
»Natürlich gehört sie mir . Sag es ihm, Dini! Schon immer hast du mir gehört.«
»Schon immer habe ich ihm gehört«, wiederholte sie gehorsam.
Bestürzt mischte sich die Countess ein. »Rede im bloß nicht nach dem Mund, Diana. Er darf dich nicht zwingen, so etwas zu sagen – das ist nicht normal.« Kraftlos sank sie auf das Bett. » Er ist nicht normal...«
Margrave zuckte verwundert zusammen. Das spürte India nicht. Aber sie bemerkte sofort, dass sie nicht mehr festgehalten wurde, rannte zu South und warf sich in seine
schützenden Arme.
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