Glut der Gefuehle - Roman
gespieltem Mitleid verdrehte sie die Augen. »Sicher hätte er gehofft, damals einen nachhaltigeren Eindruck auf dich gemacht zu haben. Immerhin war er ein Mitglied der Bishops.«
»Dann kannte ich ihn wahrscheinlich unter einem anderen Namen. Wir vom Kompass Klub hassten die Bischöfe, weshalb wir ihnen alberne Spitznamen verpassten. Da gab es den Schnüffler, den Faulpelz, den Erzbischof von Canterbanter, das Klatschmaul, den Armleuchter, den Bohnenkerl|...«
»Einen Bohnenkerl?«
»Damit meinten wir einen Schüler, der unter Blähungen litt.«
India kicherte. »Was für unartige Jungs ihr wart!«
»Aber völlig harmlos, während die Bischöfe gemein waren – absichtlich.«
»Jetzt verstehe ich, warum Margrave diesem Verein beitrat. Ich hätte ihn eine Natter genannt. So unauffällig wie nur möglich passt er sich seiner Umgebung an, und man muss Acht geben, damit man seinen Weg nicht kreuzt. Ständig liegt er auf der Lauer, und sobald man einen falschen Schritt macht, schlägt er gnadenlos zu.« Prüfend schaute sie South an. »Wenn du dich an einen solchen Jungen erinnerst, muss es Newland gewesen sein.«
Unwillkürlich erschauerte der Viscount. »Würde diese Beschreibung immer noch auf ihn passen?«
»Oh ja – eine Natter ändert sich niemals.«
»In Hambrick Hall traf ich mehrere heimtückische Schüler. Leider ist mir keiner besonders aufgefallen.«
»So wichtig ist es ja auch nicht.« India biss einen Faden ab und verknotete ihn an einem Ende.
»Vielleicht, wenn du ihn zeichnest«, schlug South vor. »So wie er damals aussah.«
Abrupt hob sie den Kopf. »Nein!«
Ihre heftige Reaktion verblüffte ihn. »Schon gut, du musst es nicht tun.«
Mit bebenden Fingern zog sie den Bleistift hinter ihrem Ohr hervor, dann schob sie das Skizzenbuch aus ihrer Reichweite. »Ich könnte ihn nicht zeichnen!«
»Beruhige dich, India, das habe ich doch gar nicht von dir verlangt.«
»Niemals könnte ich das|...« Während sie weitersprach, beobachtete South sie aufmerksam. » Er ist es, der mich zeichnet. Oft genug hat er mich porträtiert. Margrave ist ein hoch begabter Maler. Eine Zeit lang hat er in Paris, Florenz und Amsterdam Kunst studiert. Hätte er den Titel des Earls nicht geerbt, wäre er womöglich Maler geworden.
« Geistsabwesend wickelte sie einen weißen Faden um ihren Finger. »In seiner gesellschaftlichen Position ist das natürlich undenkbar. Jetzt zeichnet er zu seinem Privatvergnügen. Nur wenige Leute kennen seine Werke – seine Mutter, vielleicht sein Vater. Ob er sie seinen Lehrern gezeigt hat, weiß ich nicht. Von diesem kleinen Kreis abgesehen, gibt es kein Publikum, das sein Talent bewundern würde.« Zögernd fuhr sie fort: »Das könnte sich ändern – da du mich aus London entführt hast. Wenn Margrave mich nicht aufspüren kann, wird er Mittel und Wege finden, um mich zu verletzen. Dazu wird er die Gemälde benutzen.«
»Erzähl mir davon.«
»Dann wirst du mich verachten.«
»Ganz sicher nicht.«
»Doch|...«
»Du hast Porträts erwähnt?«
»Besondere Porträts|...« Langsam zog India den wei ßen Faden von ihrem Finger. »Nicht bloß Gesichter.«
»Und du bist auf einigen dieser Bilder zu sehen?«
»Auf allen.«
Ungläubig runzelte er die Stirn. »Auf allen ?«
»Ja, ich denke schon. Nicht immer im Vordergrund. Aber ich kenne kein einziges Gemälde, auf dem ich mich nicht entdeckt hätte.«
»Also engagiert er auch andere Modelle.«
»Nur wenn er nicht mich malt. Ich habe stets allein für ihn posiert.«
Plötzlich erinnerte sich South an den Morgen, als sie sich so mühsam unter den Laken angezogen hatte, an ihre Sehnsucht nach der Dunkelheit. Weil sie nicht wollte, dass er ihren unbekleideten Körper sah. Eine Natter. So hatte sie Margrave genannt. Stets auf der Lauer, stets zum
Angriff bereit. Wie musste sie sich gefühlt haben, wenn diese kalten Schlangenaugen über ihren Körper gewandert waren? Wie hatte sie das ertragen? Er musste eine Frage stellen, die Wahrheit von ihr erfahren – obwohl er die Antwort bereits erriet. »Hast du ihm nackt Modell gestanden, India?«
Sie zuckte zusammen, dann nickte sie fast unmerklich.
»Wo sind die Bilder?«
»In Marlhaven und Merrimont, nehme ich an. In seinem Londoner Haus|... und in meinem.«
»Dort war ich. Aber ich sah keine Gemälde.«
Sie warf den Faden beiseite und lachte freudlos. »Natürlich hängen sie nicht an den Wänden!«
»Das verstehe ich. Doch ich kam auch ungebeten in dein Haus und bemerkte sie
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