Glut der Herzen - Roman
mehr von der Albtraumenergie, die während der langen Nacht herangeflutet und wieder verebbt war. Er lag in die Kissen gelehnt da, die Augen geschlossen, das dunkle Haar von getrocknetem Schweiß verklebt. Er war nackt bis zur Mitte. Der Verband, der seine Schulter bedeckte, war frisch, die inneren Schichten waren mit der Heilsalbe getränkt, die Lucinda gemischt hatte.
Nachdem der Arzt gegangen war, hatte Adelaide sich entschlossen, die jungverheiratete Mrs Jones zu verständigen und um eine Konsultation zum frühestmöglichen Zeitpunkt zu bitten. Sie war nicht sicher, eine Antwort zu bekommen, wusste aber nicht, an wen sie sich sonst hätte wenden sollen. Der Arzt, der die Wunde genäht hatte, hatte ihre Besorgnis bezüglich einer Infektion abgetan. Er
war ein guter Mann, hatte Adelaide gefolgert, und sehr geschickt im Umgang mit Nadel und Faden, doch gehörte er einer Generation an, die nichts von den Fortschritten der Medizin hielt.
»Es war sehr liebenswürdig von Ihnen, zu so früher Stunde und bei so schrecklichem Wetter zu kommen«, sagte Adelaide. »Ich kann Ihnen gar nicht sagen, wie dankbar ich bin. Der Arzt hat die Kugel entfernt und darauf bestanden, die Wunde gründlich zu reinigen, aber ich habe solche Wunden schon gesehen und weiß, was passieren kann.«
»Das war sehr klug und umsichtig von Ihnen.« Lucinda klappte die Tasche zu und verschloss die Schnallen. »Meiner Erfahrung nach können Infektionen gefährlicher sein als die ursprüngliche Wunde. Aber ich bin sicher, dass er sich gut erholen wird.«
»Das von Ihnen zu hören ist eine große Erleichterung. Meine Haushälterin sagte, Sie hätten viel Erfahrung in solchen Dingen.«
Lucinda betrachtete Griffin. Hinter ihren Brillengläsern blitzte Neugierde auf.
»Ich muss sagen, mich erstaunt, wie ruhig er schläft«, sagte sie. »Es ist, als hätte er eine Opiummixtur bekommen, doch ich kann keine Anzeichen des Mohnextraktes entdecken.«
»Ich habe ein gewisses Talent, mit Schmerzen umzugehen«, erklärte Adelaide.
Dies schien Lucinda nicht weiter zu verwundern. Sie nickte. »Ja, ich spüre, dass Sie über psychische Fähigkeiten verfügen, Mrs Pyne. Machen Sie sich nicht zu viel Sorgen
um Mr Winters. Es ist nicht zu übersehen, dass er eine starke Konstitution hat.«
Adelaide blickte auf Griffins breite, nackte Brust hinunter. Ebenso Lucinda. Nun trat eine kurze Pause ein, während beide in die Betrachtung von Griffins starker Konstitution versunken waren.
»Ja, allerdings«, sagte Adelaide. »Sehr stark.« Sie räusperte sich und zog hastig die Decke über Griffins Brust.
Lucinda lächelte. »Dennoch dürfte die Wunde sehr schmerzen, wenn er erwacht. Männer können unter diesen Umständen sehr unwirsch sein.« Sie klappte ihre Tasche wieder auf und zog ein Päckchen hervor. »Ich lasse Ihnen für alle Fälle etwas gegen Schmerzen da. Geben Sie einen Teelöffel voll in seinen Tee oder in ein Glas Milch.«
»Danke.«
Lucinda schloss die Schnallen wieder und nahm die Tasche in eine Hand. »Also dann … jetzt muss ich gehen.«
»Zuvor vielleicht ein Tässchen Tee?«
»Leider muss ich ablehnen. Mein Mann wartet draußen im Wagen. Wir haben jetzt noch einen Termin. Inspektor Spellar von Scotland Yard bat uns um ein Treffen.«
»Ach so. Ich bringe Sie hinaus.«
Sie verließen das Schlafzimmer und gingen die Treppe zur Eingangshalle des großen Hauses hinunter.
»Ich möchte Ihnen noch einmal meine Dankbarkeit ausdrücken«, sagte Adelaide.
»Unsinn. Ich freue mich, dass ich Ihnen helfen konnte«, antwortete Lucinda. »Mich wundert ehrlich gesagt, dass Sie sich überwinden konnten, nach mir zu schicken. Die Presse hat mir einen Ruf verschafft, der in der Öffentlichkeit
den Eindruck erweckte, Giftmorde wären mein Zeitvertreib. Wie haben Sie von meinem Kräuterwissen erfahren?«
»Mrs Jones, auch ich habe Erfahrungen mit der Presse gesammelt. Ich weiß, wie Zeitungsberichte dem Ruf schaden können. Und was Ihr Talent für Kräutermixturen angeht, habe ich durch meine Haushälterin davon erfahren.«
»Und wer ist das?«
»Mrs Trevelyan. Sie ist mit Ihrer Haushälterin befreundet.«
»Mit Mrs Shute?«
»Ja, ich glaube, so heißt sie. Die beiden kennen einander schon seit den Anfängen ihrer Arbeit in verschiedenen Häusern. Klatsch verbreitet sich in ihrer kleinen Welt so rasch wie in anderen gesellschaftlichen Kreisen. Mrs Trevelyan versicherte mir, ihre Freundin würde niemals für jemanden arbeiten, der Giftmorde
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