Glut der Versuchung
Kind«, antwortete Drew behutsam.
Das Mädchen sah ihn unglücklich an. »Meine Mutter ist krank, Sir. Sie darf nicht gestört werden. «
Drew reichte dem Mädchen seine Visitenkarte. »Kannst du ihr dann bitte diese Karte geben und ihr ausrichten, dass ich sie etwas zu ihrem Sohn fragen möchte? «
Unsicher blickte sich das Kind über die Schulter um. Dann aber öffnete es die Tür weiter und bat sie herein.
Drew ließ Roslyn den Vortritt, die überrascht bemerkte, dass bei allem Schmutz und Elend draußen dieser Raum sehr ordentlich und sauber war. Auf der einen Seite war eine kleine Küche, auf der anderen ein Sitzbereich mit fadenscheinigem Mobiliar, das einmal sehr teuer gewesen sein musste.
»Wenn Sie bitte hier warten wollen, Sir«, murmelte das Mädchen, huschte zu einer Tür und schlüpfte rasch hinein.
Roslyn sah Drew schweigend an, während sie warteten.
Es verging eine Weile, ehe das Mädchen zurückkehrte. »Meine Mutter ist zu krank, um das Bett zu verlassen, Durchlaucht. Aber falls es Ihnen nichts ausmacht, kann sie Sie empfangen.«
Das andere Zimmer war ein Schlafzimmer, wie Roslyn feststellte, als sie dem Mädchen folgten. Drei Betten standen hier dicht an dicht, und genau wie das andere Zimmer, war auch dieses sehr sauber, allerdings weniger einladend, denn die Fenster waren weit offen, so dass der Gestank aus der Gasse hineinwehte.
Die Frau, die in dem größten Bett lag, sah eingefallen und fiebrig aus. Ein zweites Kind war in dem Zimmer, das stumm in der Ecke saß. Es handelte sich um ein Mädchen von vielleicht sechs Jahren, das sie nervös beäugte.
Das größere Mädchen ging geradewegs zum Bett seiner Mutter und nahm ihre Hand. »Mama? «, flüsterte die Kleine. »Kannst du jetzt sprechen, Mama?«
Constance öffnete die Augen und sah ihre Tochter zunächst verständnislos an. Dann blickte sie besorgt zu Drew und benetzte ihre spröden Lippen, ehe sie mit brüchiger Stimme fragte: »Durchlaucht? Mein Sohn ... ist Benjamin etwas zugestoßen? «
»Heißt ihr Sohn Benjamin? «, fragte Drew ruhig.
»Ja ... « Sie versuchte, sich aufzusetzen, war aber zu schwach. Die Anstrengung löste einen schrecklichen Hustenanfall aus.
Constance war schwerkrank, wie Roslyn bemerkte, als sie den rasselnden Atem hörte - ein klassisches Symptom für eine tödliche Lungenentzündung.
Drew trat einen Schritt vor. »Bitte, überanstrengen Sie sich nicht, Mrs Baines. Ihrem Sohn ist meines Wissens nichts zugestoßen.«
Ihre Tochter beugte sich weiter zu ihr, aber Constance winkte ab. Als ihr Husten nachließ, sank sie aufs Kissen zurück.»Ich ... verstehe nicht ... was Sie von meinem Sohn wollen.«
»Wir haben ein paar Fragen zu ihm, die Sie uns hoffentlich beantworten können«, sagte Drew und bot der Kranken sein Taschentuch an, das sie mit einer Mischung aus Scham und Dankbarkeit annahm.
»Was ... möchten ... Sie wissen? «
Er wollte schon antworten, als Roslyn ihm zuvorkam. »Mrs Baines, ich bin Miss Loring. Der Duke und ich sind Freunde von Lady Freemantle. Vielleicht ist es besser, wenn wir ungestört reden.«
Constance nickte schwach und sah ihre ältere Tochter an. »Sarah ... geh bitte mit Daisy nach nebenan.«
»Ja, Mama.«
Als die Mädchen draußen waren und die Schlafzimmertür hinter sich geschlossen hatten, trat Roslyn näher ans Bett. »Mrs Baines«, sagte sie sanft. »Der Vater Ihrer Kinder war Sir Rupert Freemantle, nicht wahr? «
Constance zupfte nervös an der Bettdecke. »Ja.«
»Und Ihr Sohn Benjamin ist ungefähr sechzehn Jahre alt und hat rotes Haar? «
»Ja. Karottenkopf nennen wir ihn.«
»Sagen Sie, ist er kürzlich verwundet worden? Am Arm oder an der Schulter vielleicht? «
Constance schien verwirrt. »Ja, vor zwei Wochen. Er hat geholfen ... Kutschpferde anzuspannen ... Da ist die Deichsel abgerutscht und traf ihn am Arm. Warum fragen Sie? Hat Benjamin ... irgendwelche Schwierigkeiten?«
Roslyn mied es, ihr direkt zu antworten. »Wir würden ihn gern sprechen, wissen aber nicht, wo wir ihn finden. Auch Sie konnten wir nicht leicht finden, Mrs Baines. Wir wussten nur, dass Sie in einem Haus in St. John's Wood lebten.«
»Wer hat Ihnen das erzählt? «
»Ein Anwalt namens Farnaby.«
Constance Augen verdunkelten sich. »Dieser üble Mann ... «
»Warum übel, Mrs Baines?«
Sie biss die Zähne zusammen, obwohl es sie offensichtlich zu sehr anstrengte. »Er ist ein Dieb und ein Schwindler.«
»Weil ihm aufgetragen wurde, für Sie zu sorgen? «, riet Roslyn.
Weitere Kostenlose Bücher