Glut der Versuchung
»Aber er weigerte sich, nach Sir Ruperts Ableben dessen Wünschen zu entsprechen? «
»Ja«, antwortete Constance überraschend kraftvoll, kam danach j edoch mehrmals ins Stocken. »Rupert hatte das Haus für uns gekauft ... doch natürlich unter seinem Namen. Er hat außerdem ... eine größere Summe hinterlegt ... für unseren Unterhalt und ... anständige Schulen für die Kinder. Aber ... es war nirgends schriftlich festgehalten. Als er starb ... verkaufte Farnaby das Haus und ... zwang uns, eine andere Bleibe zu suchen. «
»Und wie haben Sie es geschafft, Ihre Familie zu ernähren? «, fragte Drew mitfühlend.
Constance sah ihn unsicher an. »Mein Sohn ... ging bei einer reichen Adelsfamilie in Stellung ... Er wurde bald zum Diener befördert ... Und ich fand Arbeit bei einem Hutmacher.«
»Wie kam es, dass Sie hierher ziehen mussten?«
Als wäre ihr die Antwort peinlich, wandte sie das Gesicht ab. »Wir konnten die Miete nicht aufbringen ... also übersiedelten wir in eine noch billigere Unterkunft. Ich fand es furchtbar ... vor allem wegen der Kinder, aber ich hatte keine andere Wahl. Als ich letzten Monat krank wurde .. . verlor ich meine Stellung ...«
Wieder wurde sie von einem entsetzlichen Hustenanfall geschüttelt, bei dem sie sich Drews Leinentaschentuch vor den Mund hielt.
Roslyn bemerkte, dass ein Wasserglas auf dem Tisch neben dem Bett stand, und half Constance, ihren Kopf zu heben, damit sie trinken konnte.
»War ein Arzt bei Ihnen? «, fragte Roslyn.
Constance schluckte angestrengt, sank auf das Kissen zurück und schloss die Augen. »Nein ... wir können uns weder einen Arzt noch Medikamente leisten ... von Bens magerem Lohn.« Sie öffnete die Augen wieder. »Warum fragen Sie nach Benjamin, Miss Loring?«
Roslyn zögerte, weil sie nicht wusste, wie viel sie erzählen sollte. Drew antwortete: »Ihr Sohn interessierte sich für eine bestimmte Brosche in Lady Freemantles Besitz, Mrs Baines.«
Constance wirkte verwundert. »Meine Brosche ... woher wusste er überhaupt ... « Ihre Stimme versagte, und für einen Moment hörte man nur ihr rasselndes Atmen.
»Die Brosche gehört Ihnen? «, fragte Roslyn sanft.
»Ja, sie war ein Geschenk ... von Rupert, vor vielen Jahren, zur Geburt unseres Sohnes. Ich hielt sie stets in Ehren, weil sie Ruperts Portrait enthielt. Als er starb, war die Brosche ... zum Reinigen beim Juwelier. Ich sah sie nie wieder. «
Noch leiser fuhr sie fort: »Rupert konnte uns nie ... öffentlich anerkennen ... mich als seine Mätresse ... weil er zu große Achtung vor seiner Frau hatte ... Deshalb konnte ich nicht einfach die Brosche zurückverlangen. Dann hätte ... Lady Freemantle alles über mich erfahren, und ... das hätte Rupert nicht gewollt. «
»Warum wollte Ihr Sohn die Brosche? «, fragte Drew.
»Ich vermute ... um sie mir zu geben. Ich entsinne mich … als ich krank wurde und Fieber bekam ... da habe ich Ben gesagt, ich wünschte, ich hätte noch ... das Bild von seinem Vater. Vielleicht habe ich ihm gesagt, dass ... Lady Freemantle die Brosche hat. Ich weiß es nicht mehr.«
Zumindest erklärte das, warum der Junge so entschlossen war, die Brosche zu bekommen, dachte Roslyn, Er versuchte, den Wunsch seiner Mutter zu erfüllen, der vielleicht ihr letzter war.
»Steckt Benjamin in Schwierigkeiten?«, wiederholte Constance schwach.
Drew antwortete: »Das wird abzuwarten sein. Die Indizien sind recht belastend, aber wir möchten gern mit ihm sprechen, ehe wir Anschuldigungen vorbringen.«
»Welche Indizien?«, fragte Constance unglücklich.
»Wir glauben, dass er versucht hat, die Brosche zu stehlen, und das mehr als einmal.«
Sie starrte ihn erschrocken an. »Sie müssen sich irren, Durchlaucht. Benjamin ist ein guter Junge, der beste Sohn, den man sich wünschen kann. «
»Mag sein, aber seine Verletzung am Arm könnte eine Schusswunde sein.«
»Eine Schusswunde! Das kann nicht ... «
In dem Moment flog die Tür auf, und Winifreds rothaariger Dieb kam ins Zimmer gestürmt. Seine sorgenvolle Miene wich blanker Angst, als er die Besucher erkannte, und er war wie gelähmt. Das Päckchen, das er bei sich trug, fiel ihm aus der Hand, und sein sommersprossiges Gesicht wurde ebenso bleich wie das seiner kranken Mutter.
Er hatte keine Armschlinge mehr, wie Roslyn bemerkte, obwohl er seinen rechten Arm noch schonte, indem er ihn dicht vor der Brust hielt.
Man musste ihm zugute halten, dass Benjamin sich sehr schnell wieder fasste und trotzig das Kinn
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