Glut der Versuchung
jede andere Frau. Wie konnte das eine Vermählung rechtfertigen? Allein der Gedanke widerte Roslyn an.
Und dennoch war sie letzte Nacht gezwungen gewesen, zumindest sich selbst einzugestehen, wie sehr sie ihn begehrte. Es war ein unlogisches, ärgerliches, wahnwitziges Verlangen, das sie zu unterdrücken versuchte, seit sie ihm erstmals begegnet war. Und zu allem Überfluss musste sie sich heute, nach einer langen, schlaflosen Nacht, noch eine weit beängstigendere Wahrheit eingestehen. Arden hatte ihr nicht bloß die verbotenen Freuden gezeigt, die sie erwarten durfte, wenn sie sich ihm hingab. Nein, viel schlimmer, er hatte sie dazu gebracht, ihre größten Wünsche infrage zu stellen.
Wollte sie wirklich Lord Havilands Herz gewinnen? Oder handelte es sich bei ihrem Plan, Haviland zu erobern, um ein Luftschloss, das sie aus einem idealisierten Verlangen nach Liebe errichtet hatte?
Was auch immer die Antworten auf diese Fragen waren, Roslyn hatte das Gefühl, ihr Schicksal nicht mehr selbst zu bestimmen.
Sie schalt sich im Geiste und ermahnte sich, ihre gesamte Aufmerksamkeit Lord Haviland zu widmen. Während der nächsten Dreiviertelstunde gaben sie sich amüsantem Geplänkel hin, angenehm vertraut wie sehr gute Freunde. Noch nie hatte Roslyn sich in Havilands Gegenwart wohler gefühlt.
Und das war ein wesentlicher Teil des Problems, wie Roslyn sich zerknirscht eingestehen musste, als seine Lordschaft sie nach Danvers Hall zurückbrachte und sich von ihr verabschiedete. Bei Haviland fühlte sie nichts von dem Funken, den der Duke of Arden mit einem einzigen Blick in ihr zu entzünden vermochte. Jedes Mal, wenn sie mit dem Earl zusammen war, konnte sie an nichts anderes als an Arden denken.
Und ihr Kopf bestand darauf, dass sie beide miteinander verglich. Sie beide waren dynamische, charismatische Männer, von denen allerdings nur einer ihren Puls beschleunigte und Schmetterlinge in ihrem Bauch flattern ließ. Nur bei einem von ihnen verließ sie all ihre Willenskraft, wenn er sie bloß so küsste wie Arden es letzte Nacht getan hatte.
Seine Umarmung hatte etwas Besitzergreifendes gehabt und eine leidenschaftliche Reaktion ihrerseits hervorgerufen, die sie nicht kontrollieren konnte. Das Erlebnis hatte Roslyn bis in die Grundfesten erschüttert, was zur Folge hatte, dass ihr ernsthafte Selbstzweifel gekommen waren.
Bei Tageslicht fand sie jene Zweifel leider auch noch bestätigt. In dem Moment, als sie morgens Lord Haviland begrüßte, war ihr klargeworden, warum ihr Puls bei seinem Anblick nicht schneller ging, warum ihr Herz nicht raste und Purzelbäume in ihrer Brust vollführte.
Für den Earl empfand sie Zuneigung und Freundschaft, aber es regte sich nichts von dem köstlichen Kitzel, der sie jedes NU durchfuhr, wenn sie Arden sah.
Was sie zutiefst bedauerte, wie Roslyn feststellte, als sie langsam nach oben in ihr Zimmer ging.
Vielleicht sollte sie Tess um Rat bitten. Tess verstand Roslyns Wunsch nach einer Liebesheirat und befürwortete ihr Interesse an Lord Haviland. Aber wie stünde Tess zu Roslyns Verlangen nach Leidenschaft?
Roslyn hatte sich nie gestattet, von großer Leidenschaft in der Ehe zu träumen, und sich eingeredet, Liebe und Zuneigung würden ihr vollends genügen. Jetzt Jedoch begann sie, sich zu fragen, ob sie nicht doch Leidenschaft wollte.
Eines jedenfalls war sicher. Sie musste aufhören, sich um Havilands Liebe zu bemühen. Es wäre unfair ihm gegenüber, weiterhin sein Interesse und seine Zuneigung zu erregen, solange sie sich zu einem anderen Mann hingezogen fühlte. Erst recht wäre es unfair, Haviland in sie verliebt zu machen, wenn sie ihn womöglich nie lieben könnte.
Roslyn schloss ihre Zimmertür hinter sich, zog ihre Halbstiefel und das Cape aus und setzte sich aufs Bett, die Beine angezogen und das Kinn nachdenklich auf den Knien aufgestützt. Am liebsten wollte sie den Rest des Tages hier hocken bleiben und über ihren Zwiespalt brüten, aber in wenigen Stunden musste sie Lady Freemantle gegenübertreten. Winifreds Einladung zum Tee war quasi ein Befehl gewesen.
Erst hatte Roslyn überlegt, dankend abzulehnen, doch sie traute ihrer Freundin zu, in dem Fall in Danvers Hall zu erscheinen, um sich nach Roslyns Wohlergehen zu erkundigen. Und Winifreds Ehestiftungsbemühungen ließen sich ungleich leichter in Freemantle Park eindämmen, wo Roslyn jederzeit wieder gehen könnte.
Wie erwartet, bereute Winifred ihr Verhalten gestern Abend nicht im Geringsten.
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