Glut unter der Haut
nicht früher gekommen?
Sie vermied die wichtigste Frage, die Frage, die sie mehr als jede andere plagte. W ürde er in T heron seinen Sohn erkennen? Und wenn, was würde er unternehmen?
Sie trocknete sich ab und tapste, ein Handtuch um den Körper geschlungen, in ihr Schlafzimmer. A ls sie vor ihrem Kleiderschrank stand, war sie unsicher, was sie anziehen sollte. Schließlich entschied sie sich für eine weiße Seidenhose mit einer passenden trägerlosen, gestreiften Bluse und einen pinkfarbenen breiten Gürtel. Sie schlüpfte in weiße hochhackige Sandalen und legte ihre Ohrringe, goldene runde Scheiben, an. Um ihren von der Sonne gebräunten Hals glitzerten zwei zierliche Goldkettchen.
Ihre Hände zitterten so sehr, dass sie sich kaum schminken konnte. Sie unterließ es, sich ihr Haar hochzustecken, sondern ließ es einfach offen über die Schultern fallen.
Im Hause der Kirchoffs war es Sitte, sich für das gemeinsame A bendessen zurechtzumachen. In den knapp zwei Jahren, die sie nun hier lebte, hatte sie diese T radition mittlerweile schätzen gelernt. A ußerdem sah Seth sie gern gut gekleidet.
Als sie fertig war, zog sie T heron einen marineblauen Strampelanzug mit der weißen A ufschrift »Ahoi!« an. A ls sie ihm den dichten blonden Lockenschopf bürstete, dachte sie erneut versonnen an das W under seiner Geburt. Sie erschauderte jedes Mal, wenn sie sich an die Zeit erinnerte, als sie eine A btreibung erwogen hatte. W elch ein V erlust, welch ein Opfer wäre es gewesen, niemals die Freude, T heron zu lieben, zu erfahren?
Würde Erik dieselbe Zuneigung empfinden wie sie, wenn sie T heron ansah? Fühlen V äter dieselbe innere V erbundenheit mit ihren Kindern wie Mütter?
Sie hob T heron von der W ickelkommode und nahm ihn bei der Hand. »Fertig?« Diese Frage galt eindeutig ihr selbst. Die A ntwort war ein uneingeschränktes »Nein«. Sie war hin- und hergerissen zwischen dem V erlangen, Erik wiederzusehen, und der Qual, ihn in gefährlicher Nähe zu seinem Sohn zu erleben. A ber wenn sie sich nicht endlich beeilte, würde sich Seth fragen, was sie so lange aufhielt. Sie durfte auf keinen Fall A rgwohn bei ihm erwecken. Um jeden Preis musste sie kühlen Kopf bewahren und sich in Eriks Gegenwart völlig normal geben, denn Seth durfte niemals etwas von ihrer einstigen Beziehung wissen. Ihm durfte nicht weh getan werden. Sie betete innerlich darum, dass ihm die Ähnlichkeit zwischen T heron und seinem Gast nicht auffiel.
Hand in Hand mit ihrem Sohn ging Kathleen die T reppe hinunter und schob die Glastür zur T errasse auf, wo T heron, als sie ihn losließ, an ihr vorbeiwackelte, geradewegs auf den Mann zu, der mit einem Drink dort am runden T isch saß.
Erik lachte überrascht und zauselte dem kleinen Jungen, der das Gesicht an seine Knie presste, das Haar. »Ahoi, Käpt’n. W o ist denn deine …«
In diesem A ugenblick schaute er hoch und sah Kathleen in der T ür stehen. Mein Gott, sie ist wunderschön. Erik schluckte, um den plötzlichen Knoten in seinem Hals zu vertreiben. Er hatte geglaubt, er wäre geheilt, hatte angenommen, mit jedem Schicksalsschlag fertigwerden zu können, doch als er sie am Nachmittag aus dem Pool hatte steigen sehen, jubelte sein Herz vor Freude, während sein V erstand die Götter verfluchte, die ihm einen solchen widerwärtigen Streich spielten.
Von hinten war ihm die junge Mrs. Kirchoff irgendwie bekannt vorgekommen. Ihr Haar hatte einen eigentümlichen Glanz, den er erst einmal bei einer Frau gesehen hatte. A ls sie sich umdrehte und er in das Gesicht blickte, das ihn seit zwei Jahren verfolgte, hatte er das V erlangen verspottet, das wie rasendes Fieber in seinen V enen brannte und ihn zu A sche zu verbrennen drohte. A ls sie so vor ihm stand, nass und schimmernd, war die Zeit zurückgeeilt zu einem Moment, in dem sie genauso aus dem W asser gekommen war. Er hatte noch immer diese A ufnahme von ihr. Nur in den deprimierendsten Momenten gönnte er sich das V ergnügen – und die Qual –, es sich anzusehen. Doch heute hatte sie in Fleisch und Blut vor ihm gestanden.
Irgendwie hatte er sich zusammenreißen können, um nicht einfach an Seth Kirchoff vorbeizustürmen und sie in die A rme zu schließen und zu küssen. Doch da war der andere Mann gewesen. Der Mann im Rollstuhl. Der Mann, den er in den letzten W ochen mehr und mehr bewunderte und vor dem er großen Respekt hatte wegen seines Mutes, seiner Integrität und seines geschäftlichen Scharfsinns.
Seth Kirchoff
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