Glutnester
später im Jahr die Saat des Luftpuders aufgeht und geerntet werden kann.
Elsa bleibt stehen. Die Straßenlaterne vor der Garage ist seit Tagen defekt. Sie hat vergessen, deshalb bei der Gemeinde anzurufen. Der Weg zu ihrem Haus ist in tiefes, dringliches Schwarz getaucht. Plötzlich stutzt sie. Horcht nach hinten. Sind das Schritte? Jetzt macht Anna im Haus das Licht aus. Im ungünstigsten Moment. Elsa schluckt einen See an Spucke hinunter. Die Schritte hinter ihr werden leiser. Ungewöhnlich. Es hört sich an, als husche jemand hinter ihr her. Jemand, der zuvor auf der Lauer gelegen hatte. Um sich jetzt, wo die Zeit reif war, in ihren Rücken zu werfen. Sie hat keine Waffe dabei, fällt ihr ein. Aber sie ist gut ausgebildet. Hat Karate gelernt. Vor vielen Jahren. Das nötige Training hat sie, seit sie aus Köln fort ist, ungeschickterweise vernachlässigt. Sie hat lange keine Übungseinheiten absolviert. Und ihre Kondition ist auch nicht die beste. Elsa schluckt erneut. Sie muss sich Versäumnisse eingestehen, die sie bei Kollegen scharf kritisiert hätte. Der Schleim in ihrem Mund wächst zu einem Stausee heran. Sie steht stocksteif da. Sucht auf die Schnelle nach einem Plan. Ehe sie entscheidet, was zu tun ist, glaubt sie einen Lufthauch in ihrem Nacken zu spüren. Als bliese ihr ein Fremder seinen Atem auf die Haut. Vorbote einer Hand, die sich gleich um ihren Hals legen wird. Die sie packt, um sie herumzuschleudern. Damit der Gegner ihr seinen Blick offenbaren kann. Denn ohne Blick in die zitternden Augen des Opfers, ohne die Gewissheit drängender Angst ist Gewalt wenig befriedigend.
Elsa entscheidet sich, nicht länger zu warten. Die Augen unnatürlich weit aufgerissen, fährt sie herum. Blickt in das Weiß um fremde Pupillen. Spürt, wie sie automatisch einen Arm packt und ihn mit einem gekonnten Griff herumdreht. Ihr Gegner stöhnt leise auf und fährt im selben Moment seinen freien Arm aus, um ihn zu positionieren. Dann rammt er seinen Ellbogen in ihre Hüfte. Ihr Fleisch gibt unwillig nach. Dann kommt der stechende Schmerz. Sein Atem quillt bitter aus seinem Mund. Es riecht, als habe er etwas grauenhaft Schmeckendes getrunken oder gegessen. Ein Atem wie eine Bedrohung. Elsa überlegt blitzschnell, dass es ihr, wenn sie sich konzentriert, gelingen könnte, ihn mit einem weiteren gelungenen Griff zu Boden zu werfen. Sonst wäre sie diejenige, die zur Strecke gebracht würde. Außerhalb dieser Vorstellung existiert schlagartig nichts mehr. Als dieser Gedanke sich zu einem Gefühl ausgewachsen hat, sieht sie es. Das dumpfe Leuchten rotbrauner Haare. In einem fein geschnittenen Gesicht.
Sie lockert den Griff. Er ächzt, als würde der Schmerz erst jetzt, wo er im Schwinden begriffen ist, hundertprozentig spürbar. Sein Ellbogen lässt von ihr ab. Im Haus geht das Licht an. Endlich.
»Auf…hö…hören!«, röchelt er. Seine Augen funkeln böse. Er ist außer sich. Wütend und entsetzt.
Elsa gibt ihn frei, denn jetzt erkennt sie ihn. »Herr Speckbacher?« Sie ringt sich seinen Namen ab. »Sind Sie verrückt geworden? Schleichen wie ein Dieb hinter mir her. Was soll der Unfug?«
Er braucht einen Moment, ehe er antworten kann. »Ich hatte lediglich vor, endlich mit Ihnen zu sprechen. Im Büro in Traunstein kann man Sie ja nicht erreichen. Ihren Kollegen übrigens auch nicht.«
»Sie hätten sich zu erkennen geben müssen.«
»Wollte ich ja, aber da hatten Sie mich schon gepackt.«
»Mein Gott, das hätte ins Auge gehen können«, regt Elsa sich weiter auf.
Gerd Speckbacher, der Redakteur der Chiemgau-Zeitung, steht vor ihr wie eine optische Anklage. Mit finsterer Miene und schlaff herunterhängenden Mundwinkeln.
»Tut mir leid. Ich konnte nicht ahnen, dass Sie’s sind«, verteidigt Elsa – rückblickend – ihren Angriff. Sie fühlt, wie sie sich zu entspannen beginnt, und lächelt schließlich milde. »Kommen Sie. Fünf Minuten meiner Zeit werd ich Ihnen wohl opfern müssen.«
Gerd Speckbacher dehnt seinen Körper, als befände er sich in der Vorbereitungsphase eines wichtigen Sportkampfs. »So zutraulich auf einmal?«, entgegnet er. Sein Lächeln erlischt, während er hinter Elsa die Haustür anpeilt. Dabei dreht und knetet er den attackierten Arm, als müsse er wieder und wieder überprüfen, dass er heil geblieben ist.
Vor der Haustür angekommen, ist jede Unruhe aus Elsa gewichen. Sie sucht, verbunden mit einem unnötigen Aufflackern von Unmut, nach dem Schlüssel. Findet ihn und schließt
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