Glutnester
die Tür auf.
Arglos tritt Gerd Speckbacher ein. Interessiert sieht er sich in dem kleinen, hellen Flur um. »Schön haben Sie’s. Hier fühl ich mich auf Anhieb wohl.«
In diesem entspannten Moment weiß Elsa nichts darüber, was er bald in ihr Leben tragen wird.
Das Gespräch mit ihm hatte sich hingezogen. Da Elsa seit jeher vorsichtig mit der Presse umgegangen ist – erst Informationen rausgeben, wenn es den Ermittlungen hilft, vorher keinesfalls –, musste der Journalist sich mit fast nichts zufriedengeben.
Nachdem er – ohne zu murren, weil er kaum Infos ergattert hatte – das Haus verlassen hat, tritt Elsa ins Bad, lässt die Kleidung an sich hinabgleiten und stellt sich unter die Dusche. Das Wasser strömt gleichmäßig aus dem Duschkopf und umspült sanft ihren Kopf, dann den Rest des durstigen Körpers. Eine Weile steht Elsa unbeweglich auf der Stelle. Genießt den lauwarmen Strahl, der sie in ein neues, nasses Kleid hüllt. Die Augen geschlossen, empfängt sie das Wasser und den Dampf. Ansonsten müßige Stille. Nach einigen Minuten stürmt Anna, ohne zu klopfen, das Bad.
»Verliebst du dich gerade in den Duschkopf, oder willst du ein Kilo Dreck wegspülen, das man noch nicht mal sieht?«, meint sie zur Begrüßung.
»Bin schon fertig«, entgegnet Elsa, die sich plötzlich schuldig fühlt, weil sie ausgiebig duscht. Anstatt Abendbrot für Anna zu machen. Sie schiebt den Hebel Richtung Fliesen. Das Wasser erstirbt. Elsa tapst tropfend aus der Dusche.
»Du musst dein Pflegeprogramm nicht unterbrechen. Ich will nur bekannt geben, dass ich noch mal weg muss. Gemeinsames Abendessen fällt also ins Wasser.« Anna lacht über ihre passende Formulierung.
»Jemand, der neu auf der Freundschaftsliste steht?«, fragt Elsa nach. Seit sie von Köln nach Unterwössen gezogen sind, ist Anna unablässig auf der Suche. Mit dem Ziel, einen großen Freundeskreis um sich zu scharen, aus dem sie, je nach Laune und Vorhaben, auswählen kann.
»Vielleicht. Eckdaten folgen. Vorerst muss reichen, dass sie Nadine heißt und in der Parallelklasse inhaftiert wurde«, rückt Anna heraus.
»Aha!« Elsa verstummt, ehe sie weiterspricht. »Dann hat sie noch genauso lange abzusitzen wie du.«
»Volltreffer!«
»Erfreu mich und sag mir, dass ihr gemeinsam lernen wollt.« Elsa schlingt sich ein Handtuch um den Körper, wischt die Wasserstriemen vom benetzten Spiegel und schaut Anna direkt an. Die schüttelt und wiegt den Kopf. Abwechselnd.
»Soll ich ehrlich sein?«, fragt sie. Elsa nickt erneut. »Meine Motivation, was Lernen anbelangt, ging heute Morgen grinsend an mir vorbei. Und ward nicht mehr gesehen. Nadine und ich wollen dem gewöhnlichen Leben frönen und DVDs anschauen.«
Elsa gibt sich geschlagen und kommt auf etwas anderes zu sprechen. »Übrigens. Ich hätte da eine Bitte. Kannst du gelegentlich mal ein Mädchen namens Maria Kratzer unter die Lupe nehmen? Sie ist 13, besucht dieselbe Schule wie du und nennt sich Marissa. Mich interessiert, wie sie so drauf ist.«
»Marissa! Cooler Name. Soll ich zur Spionin mutieren?« Anna lacht auf und zieht dabei die Stirn in enge Falten. Voller Skepsis, aber auch voller Eifer steht sie vor ihrer Mutter.
»Bezeichnung akzeptiert«, entgegnet Elsa und beginnt, sich die nassen Haare zu kämmen.
»Der Grat des Lebens ist manchmal haarnadelscharf. Hast du mal gesagt. Ich hoffe, ich darf, was du da von mir verlangst. Aber wenn ich sogar unter die Spione gehen soll, kann ich ruhig erst gegen zwölf nach Hause kommen, oder?« Anna schenkt ihrer Mutter einen spitzbübischen Blick, der auch eine Spur herausfordernd ist.
Elsa spürt, wie Widerstand in ihr aufbrandet. Eine laute, dann leiser werdende Welle der Empörung. Sie schluckt sie hinunter und entscheidet sich, Nachsicht walten zu lassen. »Du hast einen monströsen Willen, Anna. Aber ich hab dich eben lieb«, meint sie versöhnlich.
Anna gibt ihrer Mutter einen freundschaftlichen Klaps auf den noch feuchten Hintern. »Ich dich zwischendurch auch, Mama. Bis später also. Und so übel siehst du für dein Alter gar nicht aus.«
Die Badezimmertür fällt hinter Anna ins Schloss. Elsa schaut in den schmierigen Spiegel und grinst wegen Annas letzter Aussage. Als sie die freudig verdaut hat, entdeckt sie etwas Unangenehmes im Spiegel. Zwischen den eng stehenden, vereinnahmenden Augenbrauen. Das Nein ihres Lebens. Eine in letzter Zeit lauter geflüsterte Ablehnung. Zu einem Leben ohne Mann. Zum totalen Neubeginn.
Elsa nimmt
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