Gnade deiner Seele: Psychothriller (German Edition)
bekamen aber nicht, was sie erwarteten. Sie fanden sie unterkühlt und gingen enttäuscht nach Hause. Vielleicht war Eloise nur deswegen kein Dauergast in den Fernsehtalkshows.
»Eloise?«
Ray beugte sich über sie. Er war es gewohnt, sie an den merkwürdigsten Orten zu finden – bekleidet in der Dusche, in einer Ecke im Keller, am häufigsten jedoch auf dem Küchenfußboden. Du bist wie ein Handy. Manchmal musst du den Standort wechseln, um einen besseren Empfang zu haben, hatte er einmal gesagt. Wahrscheinlich hatte er recht.
»Ich habe Marla Holt gesehen.«
Ray zog sie vom Teppich hoch. Sie war wackelig auf den Beinen, so dass er sie zum Sofa führte.
»Sie hat mich gebeten, den Fall zu vergessen.«
»Vielleicht wäre es das Klügste.« Ein so drastischer Sinneswandel sah ihm gar nicht ähnlich. Ray war keiner, der schnell aufgab.
»Ich komme nicht weiter«, sagte er. »Claudia Miller, die Nachbarin der Holts, war meine letzte Hoffnung, aber sie spricht nicht mit mir.«
Eloise erinnerte sich an Marlas Worte: »Flirts«, »Tändeleien«. Sie erzählte Ray davon.
»Was hat das zu bedeuten? Hatte sie nun eine Affäre oder nicht?« Die Erscheinung, die Eloise gehabt hatte, schien ihn zu verärgern. Was wiederum Eloise ärgerte.
»Woher soll ich das wissen?«, fragte sie.
Ray seufzte, ließ sich aufs Sofa zurückfallen und legte den Kopf in den Nacken.
»Ich hätte da noch eine Idee«, sagte er.
Oliver kam hereingeschlendert und machte einen uneleganten Satz auf den Sofatisch, wobei er bis an die Kante rutschte und nur mit Mühe und einer plötzlichen Gewichtsverlagerung verhindern konnte, abzustürzen. Die Magazine auf dem Tisch – Time, Newsweek und diverse Fernsehzeitschriften – rutschten zu Boden. Eloise kümmerte sich nicht darum. Oliver fing sich und warf Ray einen bösen Blick zu.
»Deine Katze ist zu dick«, sagte Ray. Er war ein stattlicher Mann, hatte breite Schultern und einen Bauchansatz. Niemand würde ihm vorwerfen, zu dünn zu sein. Eloise musste ein Lächeln unterdrücken.
»Wahre Schönheit kennt keine Maße«, sagte sie. Oliver fing an zu schnurren und leckte sich die Pfote. Die Uhr auf dem Kaminsims schlug Viertel nach.
»Lass uns zur Kapelle gehen«, schlug Ray vor. Er schaute aus dem Fenster.
Eloise folgte seinem Blick.
»Es regnet.«
»Dann zieh einen Regenmantel an«, sagte er. »Wann hast du zum letzten Mal das Haus verlassen?«
Es war tatsächlich einige Tage her, dass sie Jones Cooper aufgesucht hatte. Manchmal ging Eloise tagelang nicht vor die Tür. Sie wollte nicht hinaus. Sie fürchtete sich beinahe davor. Außerdem wusste sie nicht, was sie anziehen sollte, um in den Augen der anderen normal zu wirken. Manchmal fürchtete sie, dass sie vergessen hatte, wie man mit Fremden spricht, mit echten Menschen, die keine Hologramme waren, keine Hirngespinste.
»Letzter Versuch«, sagte Ray. »Wenn wir da draußen nicht fündig werden, lasse ich dich vom Haken, okay? Dann sage ich Michael Holt, er soll sich an die Polizei von The Hollows halten. Ich kenne die Akten nicht und weiß nicht, welche Spuren damals verfolgt wurden. Deine Visionen sind zu vage. Wir kümmern uns einfach um den nächsten Fall, so wie du es vorgeschlagen hast. Es gibt genug Menschen, die auf unsere Hilfe warten.«
Es regnete seit dem frühen Nachmittag immer stärker. In den Nachrichten hatten sie gesagt, der Regen werde mindestens noch drei Tage anhalten. Eloise stand auf und ging zum Garderobenschrank im Flur. Ray und Oliver folgten ihr. Sie schlüpfte in eine potthässliche, gelbe Regenjacke und stieg in ebenso hässliche Gummistiefel.
»Gut«, sagte Ray.
Eloise ließ sich nur motivieren, weil sie hoffte, in diesem Fall zum letzten Mal tätig werden zu müssen. Marla Holt hatte sie gebeten zu vergessen, und genau das hatte sie vor. Sie wollte Ray nicht verraten, was Marla über Michael gesagt hatte. Sie wusste selbst nicht, warum. Aber wenn sie im Laufe ihres langen Lebens Eines gelernt hatte, dann dies: Man sollte immer seinen Instinkten folgen.
VIERUNDZWANZIG
J ones kam nach Hause und schloss die Tür hinter sich. Er fühlte, wie ihn eine Niedergeschlagenheit ergriff und er melancholisch wurde. Die Kriminalpolizei von The Hollows würde den Fall Marla Holt auf sein Anraten hin neu aufrollen, aber was hätte er davon? Er wusste es nicht. Chuck hatte nicht gesagt: Okay, ich rufe dich an, sobald wir was gefunden haben! Er hatte gesagt: »Danke für deine Hilfe, Cooper. Komm bald mal wieder
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