Gnade deiner Seele: Psychothriller (German Edition)
war?
»Ich kann Ihnen nicht helfen, Mr. Carr«, sagte Jones. »Aber ich kann gern die Polizei verständigen.«
»Nein«, sagte Carr hastig, »ich möchte nicht, dass Paula Ärger bekommt. Schließlich ist es verboten, gegen den Willen des Ehepartners das Haus zu verlassen und die Kinder mitzunehmen, oder?«
Oder zielte Carr darauf ab, sie als psychisch labil zu brandmarken, als gefährliche Kidnapperin, wo sie in Wahrheit nur aus einer gewalttätigen Ehe geflüchtet war?
»Kommt auf die Umstände an«, sagte Jones.
Wieder schwieg der Mann. Jones konnte ihn keuchen hören.
»Sie sind doch Privatdetektiv, oder?«, fragte Carr. Wieso hielten alle ihn dafür? Jones gab keine Antwort.
Kevin Carr redete weiter. »Ist ja auch egal, warum sie Sie angerufen hat … Können Sie mir bitte helfen, sie zu finden? Ich will einfach nur, dass sie nach Hause kommt, dann können wir über alles reden.«
Jones schwieg, so als denke er darüber nach. Er hatte nicht vor, Kevin Carr zu helfen. Ganz im Gegenteil, er hatte versprochen, Paula zu helfen. Und Jones war ein Mann, der seine Versprechen hielt.
»Okay, Mr. Carr, ich werde sie suchen«, sagte er. »Ich brauche dazu ein paar Informationen – den Wohnort ihrer Eltern, ihren Mädchennamen.«
Vor Dankbarkeit wurde Carr ganz leutselig. Er gab alle Informationen anstandslos heraus.
»Ich werde Sie heute Nachmittag zurückrufen«, sagte Jones, als er hatte, was er wollte. »Tun Sie mir nur einen Gefallen: Bleiben Sie, wo Sie sind, und warten Sie auf meinen Anruf.«
»Und Sie werden die Polizei nicht einschalten?«
»Nein, ich wüsste nicht, wozu.« Maggie hatte ihm einmal vorgeworfen, er sei ein Meister darin, unverbindliche Antworten zu geben. Es hatte mit seinem Polizeijob zu tun.
Nachdem er aufgelegt hatte, rief er als Erstes Denise Smith an, die Sekretärin des Kindergartens von The Hollows. Er kannte sie noch von früher, hatte zusammen mit ihr den Kindergarten besucht, in dem sie heute arbeitete. Nach dem üblichen Geplänkel erkundigte sich Jones, wer Cameron Carr am vorangegangenen Tag abgeholt habe. Die Frage war ungewöhnlich, und sicher durfte Denise sie aus Datenschutzgründen nicht beantworten, aber Jones hatte festgestellt, dass viele Leute ihn immer noch in seiner Rolle als Kriminalpolizist wahrnahmen und bereitwillig Rede und Antwort standen.
»Na ja, eigentlich macht das seine Mom. Aber ich kann gern mal die Erzieherin fragen«, sagte Denise. »Den Vater sehen wir kaum, ich glaube, er arbeitet in der Stadt.« Jones hörte ihre Finger über die Tastatur fliegen.
»Weißt du«, sagte Denise plötzlich, »ich brauche sie nicht zu fragen. Jetzt fällt es mir wieder ein. Es war Paula. Sie kam gestern ins Büro, um Cameron für ein paar Tage abzumelden. Sie hat gesagt, sie müsse verreisen.«
»Was für einen Eindruck hat sie auf dich gemacht?«
»Oh, gehetzt und in Eile, so wie alle.«
»Hat sie gesagt, wohin sie wollte?«
»Nein«, sagte Denise und zog das Wort in die Länge, so als müsse sie nachdenken. »Nein.«
»Danke, Denise.«
»Ist alles in Ordnung?« Sie dämpfte ihre Stimme zu einem Flüstern. Jones hatte sie schon immer gemocht. Sie zählte zu den wenigen Menschen in The Hollows, die ein Geheimnis für sich behalten konnten.
»Hoffentlich«, sagte er. »Erzähl keinem davon, okay?«
»Natürlich nicht«, erwiderte sie, »du kennst mich doch.«
Als Jones auflegte, kribbelte seine Haut am ganzen Körper. Wäre er noch im Dienst gewesen, hätte er gewusst, was zu tun war. Die Vorgehensweise war klar festgelegt: Vermisstenanzeige aufnehmen, Telefonrechnung, Kontoauszüge und Kreditkartenabrechnung anfordern, Autokennzeichen ins Überwachungssystem einspeisen und darauf hoffen, dass sie ein Kollege stoppt oder das Auto irgendwo gefunden wird. Aber Jones war Zivilist und konnte nichts unternehmen. Er könnte sie als vermisst melden, was er aber nicht wollte. Falls sie aus gutem Grund geflohen war, würde er damit nur ihrem Mann helfen, sie aufzuspüren.
Er rief seinen Kontaktmann bei der Kreditkartengesellschaft an, den er schon wegen Carrs Ex behelligt hatte, und hinterließ eine Nachricht. Jack Kellerman war ein alter Saufkumpan, den Jones alle paar Monate in New York traf oder hier in The Hollows, wenn Jack seine Eltern besuchte. Weil Jack ständig pleite war, zahlte Jones für die Getränke. Jack revanchierte sich, indem er Jones’ Anfragen bevorzugt behandelte oder nicht immer auf dem Nachweis der richterlichen Anordnung bestand.
»Ich
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