Gnade deiner Seele: Psychothriller (German Edition)
Affekthandlung.«
»Vielleicht hat er sich abgesetzt«, sagte Ray. »Niemand kannte seine Identität.«
»Die Nachbarin hat ausgesagt, Marla wäre mit ihrem Koffer in eine schwarze Limousine eingestiegen.«
»Das passt nicht zu deiner Vision.«
»Ich habe nur einen Ausschnitt gesehen, den ich nicht verstehe. Wir wissen nicht, was davor oder danach passiert ist.«
Ray rieb sich das Gesicht und grunzte missmutig.
»Es ist schon spät«, sagte sie. »Wir sollten die Informationen erst einmal sacken lassen. Morgen früh setzt du dich mit Jones Cooper in Verbindung. Ich habe das Gefühl, dass er da mit drinsteckt. Vielleicht gelingt es ihm, die Zusammenhänge zu erkennen.«
»Wenn die Polizei von The Hollows den Fall neu aufrollt, sind wir den Auftrag los«, sagte Ray.
»Wir haben zwanzig Kunden auf der Warteliste«, sagte Eloise, »so viele Menschen warten auf Antworten, suchen nach einer Erklärung, nach Gerechtigkeit. Wir widmen uns einfach dem nächsten Fall.«
»Ich bin nicht wie du.« Klang er verbittert? »Ich kann so etwas nicht einfach abhaken.«
»Manchmal geht es nicht anders«, gab Eloise zu bedenken, »das weißt du doch. Wir können nicht alle Fälle aufklären.«
Was war los mit ihm? Normalerweise war er nicht so emotional involviert. Verbissen, ja. Entschlossen. Hartnäckig. Involviert zu sein tat weh und war die Ursache allen Kummers.
Eloise setzte sich auf, woraufhin Oliver ihr einen bösen Blick zuwarf.
»Was ist mit dir?«, fragte sie.
Ray stand auf, kam zum Bett und setzte sich. Die Matratze stöhnte unter seinem Gewicht, und die Katze sprang auf und verließ das Schlafzimmer mit einem verärgerten Miauen.
»Ich habe mit dem Jungen gesprochen, der seine Mutter sucht, ich habe dieses furchtbar vermüllte Haus durchsucht, alte Verhörprotokolle und Zeitungsartikel gelesen, ich habe Zeugen befragt, die Marla Holt kannten. Aber ich komme keinen Zentimeter weiter. Irgendetwas stimmt an der Sache nicht.«
Eloise sagte nichts, sondern legte ihm eine Hand auf die Schulter. Es war schön, ihn zu berühren. Sie konnte den starken, rundlichen Muskel unter dem Baumwollstoff spüren.
»Manchmal denke ich, ich kann es nicht mehr. Ich lasse nach. Und was mache ich dann? Ich war ein schlechter Ehemann und ein mittelmäßiger Vater.« Er drehte sich zu Eloise um. »Ich kann nicht mal ein guter Freund sein. Schau dich an! Ich quetsche dich aus und verlange immer noch mehr.«
Sie legte ihm eine Hand in den Nacken.
»Wir haben alles geopfert, nicht wahr?«, sagte er. »Alles.«
»Ja«, sagte sie, »so ist es.«
Sie sagte nicht, dass ihr außer der Gabe nichts geblieben war. Sie war ihr aufgezwungen worden. Anders als Ray hatte sie sich nicht bewusst dafür entschieden. Sie hatte Amanda vergrault und durfte ihre Enkel kaum noch sehen, aber das war ein Kollateralschaden. Amanda wollte es so, da konnte Eloise nichts machen. Sie hätte sich von der Gabe getrennt, wenn das möglich gewesen wäre. Der Familie zuliebe hätte sie den Visionen, ihrer Arbeit, all dem entsagt, hätte sie die Wahl gehabt. Aber diese Gedanken verschwieg sie Ray.
»Ist schon gut, Ray. Du hast in deinem Leben viel Gutes getan. Du hast vielen Menschen geholfen.«
Er nickte zögerlich. Sie betrachtete seine hohe Stirn, die schiefe Nase. Sie schob ihn nicht weg, als er sich vorbeugte, um sie zu küssen. Sie ließ sich von seinen weichen Lippen berühren, erst vorsichtig, dann fordernd. Sie liebte seine Art, sie zu halten. Er schlang seine Arme um sie und hielt sie fest. Sie legte die Arme um seinen Hals und öffnete sich ihm, fühlte seine starke Brust, die kratzigen Bartstoppeln, atmete den Duft der Zigarre ein, die geraucht zu haben er abstritt.
»Oh, Eloise«, murmelte er, »es ist so lange her.«
Früher einmal war es ihr beim Sex um Schönheit und Sinnlichkeit gegangen. Um seine Muskeln, sein volles Haar. Um die Hitze zwischen ihren Beinen. Ihr Verlangen nach Ray war schuldbeladen und atemlos gewesen. Sie hatten einander die Kleider vom Leib gerissen. Er war hastig in sie eingedrungen, und sie hatte vor Lust aufgeschrien. Heute war alles anders. Sie bewegten sich langsam und leise; sie genossen, was sie nicht gestohlen, sondern verdient hatten. Sie griff nach dem Lichtschalter, aber er hielt ihre Hand fest.
»Ich möchte dich sehen.«
Und er hatte recht. Sie wollte gesehen werden, auch wenn ihre Schönheit verblasst war und das Leben sie gezeichnet hatte. Und sie wollte ihn sehen, das ergraute Haar auf seiner Brust, die
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