Gnade
bitte bringen Sie Theo ein Telefon.«
»Da hängt eins an der Wand«, erklärte Frances.
»Aber da kommt er nicht dran!«, versetzte Michelle gereizt.
»Sehr wohl, Frau Doktor.«
Frances delegierte die Aufgabe an Megan, die im Schwesternzimmer gerade mit einem Sanitäter flirtete.
Megan brachte einen altmodischen Apparat, schloss ihn an die Buchse an, in der das Kabel für das Wandtelefon gesteckt hatte, und reichte es Theo. »Sie müssen eine Null vorwählen, wenn Sie ein Amt haben wollen.«
Michelle hatte die Wunde noch einmal gründlich gesäubert und fing nun an zu nähen. »Hör auf, so herumzuzappeln!«, sagte sie. »Versuchst du noch einmal, Noah zu erreichen?«
»Ich möchte erst mit dem Krankenhausverwalter sprechen und ihn um Hilfe bitten. Und wenn wir hier alles auseinander nehmen müssen, dann werden wir das tun. Ich will dieses Kuvert haben.«
»Ich bin diejenige, die danach suchen sollte … vielleicht mit deiner Hilfe und noch einer anderen Person. Wenn du das ganze Personal losschickst, werde ich hinterher nicht wissen, wo sie schon nachgesehen haben und wo nicht. Lass mich erst in der Notaufnahme und oben in der chirurgischen Station nachschauen, bevor du Verstärkung anforderst.«
»Warum nur dort?«
»Weil die Post, die ich hier unten nicht abhole, automatisch nach oben gebracht wird. Alle Chirurgen haben oben einen kleinen Raum, und dort wird ihre Post deponiert.«
»Ich habe schon jede Menge Post da hinaufgeschleppt«, berichtete Megan. »Ich gehe mindestens zweimal täglich hinauf.« Dann fügte sie in vertraulichem Ton hinzu: »Da oben arbeitet ein echt süßer Techniker. Ich versuche schon lange, ihn auf mich aufmerksam zu machen … Ich helfe Ihnen gern beim Suchen, Dr. Mike. In der Notaufnahme ist im Moment ohnehin nicht viel los, und Frances kann mich anpiepsen, falls sie mich braucht.«
»Danke, Megan.«
»Kein Problem. Wonach soll ich denn genau suchen?«
»Nach einem Umschlag, der vom Speedy Messenger Service geliefert wurde.«
»Oh, wir bekommen täglich jede Menge Lieferungen.«
»Michelle, Liebes, bist du bald fertig?«, fragte Theo.
»O Mann! Er hat Sie gerade ›Liebes‹ genannt«, flötete Megan begeistert.
»Megan, Sie stehen mir im Licht!«
»Entschuldigung, Frau Doktor.« Als sie zurücktrat, wanderte ihr Blick prüfend von Theo zu Michelle und wieder zurück. »Also, was geht hier vor?«, fragte sie im Flüsterton.
»Fangen Sie doch schon mal an, in den Schreibtischen und Schränken hier unten zu suchen, solange Michelle mich noch verarztet«, ordnete Theo an.
»Ja, Sir.«
»Aber suchen Sie gründlich!«, mahnte Michelle, ohne aufzusehen.
In der Sekunde, als Megan den Vorhang zuzog, flüsterte Michelle: »Du hättest nicht ›Liebes‹ sagen dürfen.«
»Habe ich deine Autorität untergraben?«
»Nein, es ist nur …«
»Was?«
»Megan ist wirklich lieb, aber sie erzählt alles weiter, und ich darf gar nicht daran denken, welcher Klatsch morgen in Umlauf sein wird. Wahrscheinlich wird irgendwer am Ende behaupten, ich sei nackt hier aufgetaucht und wäre bereits schwanger.«
Theo legte den Kopf zur Seite. »Schwanger … eine hübsche Vorstellung!«
Michelle verdrehte die Augen. »Um Himmels willen!«
Er lächelte. »Eine Frau, die seelenruhig zusieht, wie eine Giftschlange über ihr Bein kriecht, wird ja wohl mit ein bisschen Klatsch fertig werden! Du bist zäher, als du aussiehst.«
Sie konzentrierte sich auf ihre Aufgabe. »Noch ein Stich, dann habe ich es geschafft. Wann hast du die letzte Tetanusspritze bekommen?«
»Gestern«, antwortete er prompt.
»Du hast wirklich Angst vor Spritzen, was? Aber du bekommst trotzdem eine.«
Er berührte unvermittelt ihre Wange. »Du wirst nervös, wenn ich dich aufziehe, und Komplimente machen dich verlegen. Du weißt nicht, was du damit anfangen sollst, stimmt’s?«
»Fertig«, verkündete sie, ohne auf seine Worte einzugehen. »Aber steh noch nicht auf!«, setzte sie rasch hinzu, als er sich aufrichtete. »Ich bin fertig, du nicht.«
»Was soll das heißen?«
»Jetzt kommen noch der Verband und die Tetanusspritze.«
»Wie viele Stiche hast du gemacht?«
»Sechs.«
Während sich Michelle die Handschuhe abstreifte, öffnete sich der Vorhang einen Spaltbreit. Megan sagte: »Dr. Mike, da draußen steht ein Detective aus New Orleans. Sie möchte mit Ihnen und Ihrem Freund sprechen.«
»Er ist ein Patient!«, fuhr Michelle sie an. Zu spät wurde ihr klar, dass sie besser geschwiegen hätte. Sie
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