Gnade
klang, als müsse sie sich verteidigen, und das regte Megans Vorstellungskraft sicher nur noch mehr an.
Megan zog den Vorhang vollständig zurück. »Das ist Detective Harris«, stellte sie die Frau vor.
Detective Harris war groß, kräftig gebaut und ausnehmend attraktiv, mit einem ovalen Gesicht und durchdringendem Blick. Als sie vortrat, bemerkte Michelle die feinen Linien um ihre Augen und den Mund. Sie trug eine schwarze Hose, schwarze Halbschuhe und eine hellblaue Bluse. Sie ging auf Theo zu, und als sie die Hand ausstreckte, um ihn zu begrüßen, sah Michelle das Rangabzeichen und die Waffe am Gürtel.
Harris verschwendete keine Zeit mit langen Vorreden. »Ich möchte hören, was letzte Nacht vorgefallen ist. Chief Nelson hat mir schon Bericht erstattet, aber ich möchte Ihre Version kennen lernen.« Sie hatte eine tiefe, wohlklingende Stimme.
»Wo ist Ben?«, fragte Michelle.
»Er ist in Ihrem Haus, um den Tatort zu untersuchen.« Sie betrachtete Michelle kurz von oben bis unten, dann fuhr sie fort: »Ich nehme alles, was er sicherstellt, mit ins Labor nach New Orleans.«
Während Detective Harris mit Michelle sprach, musterte Theo sie kurz. Sie war wie all die anderen Police Officers, denen er in seinem Leben begegnet war: Sie strahlte Überdruss und Müdigkeit aus, als hätte sie die meiste Zeit ihres Lebens mit Arbeit verbracht. Sie wirkte hart und streng.
»Wie lange sind Sie denn schon bei der Truppe?«, erkundigte sich Theo.
»Vier Jahre im Morddezernat«, antwortete sie ungehalten. »Und davor drei Jahre bei der Sitte.«
Bei der Sitte, das erklärte vieles. »Und was führt Sie nach Bowen?«
»Ich stelle hier die Fragen, wenn es Ihnen nichts ausmacht.«
»Natürlich«, stimmte Theo freundlich zu. »Sobald Sie meine beantwortet haben.«
Ihre Lippen deuteten ein Lächeln an. »Wenn ich es nicht schon von Nelson wüsste, dann wäre ich spätestens jetzt sicher, dass Sie Anwalt sind.«
Theo reagierte nicht auf diese Bemerkung. Er wartete auf eine Antwort. Harris versuchte, ihn mit einem starren Blick einzuschüchtern, aber sie zog den Kürzeren.
Sie seufzte. »Ich habe einen Tipp bekommen … einen zuverlässigen Tipp von einem Insider. Ein Killer, hinter dem ich schon seit drei Jahren her bin, soll in Bowen tätig sein. Ich habe erfahren, dass er hier einen Auftrag zu erledigen hat, und ich schwöre, dass ich ihn diesmal schnappe.«
»Wer ist dieser Killer?«
»Ein Geist. Zumindest haben ihm die Jungs im Morddezernat diesen Spitznamen gegeben, weil er sich jedes Mal in Luft auflöst, wenn ich ihm nahe komme. Laut meines Informanten nennt er sich derzeit ›Monk‹. Ich habe herausgefunden, dass er in den letzten Jahren mindestens zwei Morde begangen hat. Wir sind ziemlich sicher, dass er letztes Jahr ein junges Mädchen in Metairie umgebracht hat und dass der Vater des Mädchens ihn dafür bezahlt hat, weil er die Versicherungssumme einstreichen wollte. Aber noch können wir nichts beweisen.«
»Woher wissen Sie denn, dass dieser Mord auf Monks Konto geht?«, hakte Theo nach.
»Er hat eine Visitenkarte hinterlassen. Das tut er immer«, erklärte sie. »Mein Informant hält sich in Monks Umfeld auf und kennt seine Vorgehensweise. Er hat mir erzählt, dass Monk bei seinen Opfern stets eine langstielige Rose hinterlässt – zum Beweis für den Auftraggeber, dass er den Job erledigt hat. Er sorgt dafür, dass die Morde wie ein Unfall oder Selbstmord aussehen, und bei allen Fällen, mit denen ich zu tun hatte, profitiert jemand von dem Todesfall.«
»Ein Vater lässt sein Kind töten, um an Geld zu kommen?« Michelle rieb sich die Arme, als sei ihr plötzlich kalt. Ihr wurde übel bei der Vorstellung.
»Wir haben zwar keine Rose gefunden«, erzählte Harris weiter, »aber ein noch frisches Blütenblatt lag halb verdeckt unter dem Schrank. In einem anderen Fall fand die Spurensicherung eine Dorne, die in der Matratze steckte. Monk schlägt übrigens meistens nachts zu, wenn das Opfer schläft.«
»Wer war das Opfer in dem zweiten Fall, den Sie erwähnten?«, wollte Theo wissen.
»Ein alter, wohlhabender Mann, dessen einziger Verwandter ein ernsthaftes Drogenproblem hatte.«
»Nach allem, was Sie über diesen Mann erzählen«, bemerkte Theo, »scheint es nicht sein Stil zu sein, mit anderen zusammenzuarbeiten. Er ist offensichtlich eher ein Einzelgänger.«
»Bis jetzt hat er allein operiert, aber meine Nase verrät mir, dass er letzte Nacht das Haus von Doktor Renard betreten
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