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Gnadenfrist

Titel: Gnadenfrist Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mary Higgins Clark
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spät abends in New York zu tun und kam erst nach Mitternacht nach Hause. Sie schlief. Aber am nächsten Morgen, als sie mich zum Zug brachte, bemerkte ich, daß sie mit dem Reservereifen fuhr.«
    »Ja, weiter.«
    »Erinnern Sie sich an die Niederschrift, die uns Kurner gestern gab. Thompson sagt, er habe mit Nina gescherzt; es ging um so einen Spruch wie >Auf Regen folgt Sonne<; und sie sagte angeblich etwas über ihre Einkäufe, die sie alle im Kofferraum unterbringen könnte.«

    »Ich verstehe noch immer nicht, wovon Sie sprechen.« »Ihr Kofferraum war klein. Wenn sie mehr Platz als sonst darin hatte, kann es nur bedeuten, daß sich der Reservereifen noch nicht im Kofferraum befand. Das war um vier Uhr nachmittags, und sie muß direkt nach Hause gefahren sein. Dora war an dem Tag zum Saubermachen bei uns, und sie sagte, Nina habe sie kurz vor fünf Uhr heimgebracht.«
    »Anschließend ist sie mit Neil direkt nach Hause zurückgefahren?«
    »Ja, und er ging nach oben, um mit seiner Eisenbahn zu spielen. Nina brachte die Einkäufe aus dem Wagen in die Küche. Erinnern Sie sich an all die Pakete auf dem Tisch? Wir wissen also, daß sie in den nächsten paar Minuten starb. Ich sah mir an jenem Abend ihren Wagen an. Der Reservereifen war im Kofferraum. Der neue Reifen befand sich wieder an ihrem Vorderrad.«
    »Wollen Sie damit sagen, daß jemand den Reifen zurückgebracht, ausgewechselt und sie dann getötet hat?« »Wann sonst hätte der Reifen ausgewechselt werden können, wenn nicht genau zu diesem Zeitpunkt? Und wenn es sich so abspielte, könnte es sein, daß Thompson unschuldig ist. Er kann den Mörder sogar verjagt haben, als er bei uns läutete. Ich flehe Sie an, finden Sie heraus, ob er noch weiß, ob der Reservereifen im Kofferraum lag, als er die Lebensmittel verstaute. Ich hätte schon damals, als ich den Wagen überprüfte, merken müssen, daß der Reifen eine wichtige Rolle spielt. Aber ich haßte den Gedanken, daß ich Nina in der letzten Minute, in der ich mit ihr zusammen war, gescholten habe…«
    Hugh drückte das Gaspedal durch. Die Tachometernadel kletterte von sechzig auf siebzig, auf achtzig Meilen pro Stunde. Als sich am düsteren Himmel das erste Morgengrauen zeigte, bog der Wagen mit kreischenden Reifen in Petersons Auffahrt ein. Hugh eilte ans Telefon.
    Bevor er seinen Mantel ablegte, wählte er die Nummer des Somers-Staatsgefängnisses und verlangte den Direktor zu sprechen. »… nein, ich bleibe dran.« Er wandte sich an Steve. »Der Gefängnisdirektor war die ganze Nacht im Büro für den Fall, daß die Gouverneurin anrufen würde. Jetzt rasieren sie den Jungen gerade.« »Großer Gott.«
    »Selbst wenn er bestätigt, daß der Kofferraum leer war, ist das noch kein Beweis. Es ist alles noch reine Vermutung. Genausogut könnte jemand den Reifen gebracht und ausgewechselt haben und wieder gegangen sein. Damit ist Thompson noch nicht entlastet.«
    »Wir glauben beide, daß er unschuldig ist«, sagte Steve. Dumpf gestand er sich ein, daß er das schon immer geglaubt hatte, aber nicht wahr haben wollte.
    »Ja, ich bin noch dran…« Hugh lauschte. »Vielen Dank.« Er knallte den Hörer auf.
    »Thompson schwört, daß der Reservereifen fehlte, als er den Wagen belud.«
    »Rufen Sie die Gouverneurin an«, bat Steve. »Sagen Sie ihr… Bitten Sie sie, die Hinrichtung wenigstens aufzuschieben. Lassen Sie mich ans Telefon, wenn es etwas nützen sollte.«
    Hugh wählte die Nummer des Parlamentsgebäudes. »Es ist kein Beweis«, sagte er, »nur eine Kette von Zufällen. Ich bezweifle, daß sie daraufhin eine Verschiebung vornehmen wird.
    Wenn sie erfährt, daß Sharon und Neil verschwunden sind - und das müssen Sie ihr jetzt sagen -, bringt sie das möglicherweise zu der Überzeugung, daß hier ein letzter verzweifelter Rettungsversuch unternommen wird.«
    Die Gouverneurin war nicht zu erreichen. Sie hatte alle Gesuche um einen weiteren Hinrichtungsaufschub dem Generalstaatsanwalt zur Beurteilung übertragen. Er wäre ab acht Uhr in seinem Büro zu erreichen. Nein, seine Privatnummer würde nicht zur Verfügung gestellt.
    Sie konnten nichts tun als warten. Steve und Hugh saßen schweigend im Studio, während das schwache wäßrige Licht allmählich durch das Fenster sickerte. Steve versuchte zu beten, aber er konnte immer nur denken: Lieber Gott, sie sind so jung… alle drei… bitte…
    Um sechs Uhr kam Dora mit schweren unsicheren Schritten die Treppe herunter. Sie sah gealtert und unendlich

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