Gnadenfrist
wieder?«
»Nein, hör zu«, blubberte er aufgeregt. »Wir schulden dir eine Entschuldigung.«
»Ich bin ganz Ohr, Quintus.«
Dann erzählte er uns, daß während des gestrigen Abendessens ein seltsamer Bote im Hause Camillus vorgesprochen hatte. Er brachte ein Schreiben, das der Sekretär des Senators entgegennahm und las. Da ein Familienfest im Gange war, hatte sich der Sekretär der Sache selbst angenommen. In dem Schreiben wurde Geld für die Rückgabe eines Kindes verlangt; der Name des Kindes war dem Sekretär fremd. Verärgert hatte er den Boten weggeschickt, und erst, als die Geschichte an diesem Morgen erwähnt wurde, begriff Camillus Verus, worum es ging. Zum Glück hatten wir bei unserem Besuch von Tertulla gesprochen.
»Jupiter! Wenigstens können wir jetzt Galla sagen, daß die Kleine vermutlich am Leben ist. Aber welche Frechheit! Jemand hat versucht, deinen Vater unter Druck zu setzen, Helena Justina, um für meine Nichte Lösegeld zu bekommen!« Als ob unsere Beziehung nicht schon genügend Peinlichkeiten beinhaltete.
Natürlich waren keinerlei Hinweise sichergestellt worden. Die Lösegeldforderung hatte man dem zwielichtigen Boten wieder in die Hand gedrückt; es gab keine anständige Beschreibung des Mannes. Und niemand hatte gesehen, in welche Richtung er sich davongemacht hatte. Vielleicht wären sie so vernünftig, sich an Helena Justina oder mich zu wenden. Vielleicht würden sie die Geduld verlieren und Tertulla einfach zurückschicken.
Vielleicht.
XLVI
Im Wachlokal des Dreizehnten Bezirks war die Stimmung genauso gedrückt wie meine. Es war eine ruhige Nacht auf dem Aventin gewesen. Zumindest eine völlig normale. Abgesehen von achtzehn Hausbränden, Brandstiftung in einem Kornlager, einer Flut von Einbrüchen, diversen Prügeleien auf dem Armilustriumfest, drei aus dem Tiber gezogenen Selbstmördern und zwei weiteren wütenden Frauen, deren zum Lüften aufgehängte Bettüberwürfe von den Balkonbrüstungen gestohlen worden waren, hatte nichts den Frieden gestört.
Ich erzählte Petro, was wir über die Entführungen herausbekommen hatten, und er sagte mir, wohin ich mich damit scheren könne.
»So kannst du mich nicht abwimmeln. Tertulla ist ein offizieller Fall, Petro. Galla verlangt eine Untersuchung.«
»Sie steht auf unserem Tagesplan.«
»Zum Hades mit dem Plan. Hier sind gründliche Nachforschungen nötig.«
»Nenn mir einen Namen oder die Adresse eines Verdächtigen, und ich schicke meine Männer hin.«
»Es muß jemand mit guten Informationen sein. Jemand, der genug weiß, um das rotznäsige Balg meiner gräßlichen Schwester mit der vornehmen Familie meiner Freundin in Verbindung zu bringen.« Ohne allerdings zu wissen, daß die illustren Camilli ziemlich knapp bei Kasse waren.
»Davon hätten sie in jedem Friseurladen und in jeder Bäckerei hören können.«
»Bist du sicher? Dann ist die Straße besser informiert als der Sekretär von Helenas Vater. Der hat den Boten weggeschickt.«
»Ich nehme an, du hast dafür gesorgt, daß er ihm das nächste Mal ein Fußeisen anlegt und ihn uns übergibt.«
»Sie ist erst sieben Jahre alt. Sie sollte Priorität haben.«
»Meine Prioritäten werden von Rubella festgelegt. Meine Priorität ist es, die Banden zu zerschlagen.«
Sein Stirnrunzeln sagte mir etwas anderes. Petro war selbst Vater von drei Mädchen. Er kannte all die Zweifel und Ängste, wenn ein kleines Mädchen verschwindet. Er beruhigte sich, meinte, Helena hätte das mit der Befragung der anderen Familien hervorragend gemacht, und bemerkte, daß ich sie nicht verdient hätte. Durch ihre Hilfe und jetzt auch noch den Versuch, ihren Vater da reinzuziehen, wüßten wir wenigstens, was lief.
»Das ist kein Trost für meine Schwester, und das weißt du auch!«
Petro versprach, sich darum zu kümmern, sobald er Zeit hätte. Wie die Dinge lagen, würde er niemals Zeit haben. Das wußten wir beide.
Es hatte keine weiteren Überfälle gegeben und keine Morde. Wenigstens etwas; allerdings bedeutete es auch, daß wir keine neuen Spuren hatten. Petronius und seine Mannschaft konnten sich nur der ermüdenden, deprimierenden Aufgabe widmen, bisherige Beweise noch einmal durchzugehen. Alle Einzelheiten erneut durchzukauen. Zu versuchen, aus nutzlosen Fakten ein Körnchen Bedeutsamkeit herauszupressen.
»Wo ist der kleine Negerjunge?« wollte Petro plötzlich wissen. »Nonnius’ Sklave.«
»Bei Porcius.«
»Und wo ist Porcius?«
Porcius wurde geholt. Nervös betrat er
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