Gnadenfrist
das Verhörzimmer. Er kannte Petro als den ruhigsten Mann auf dem Aventin, aber er spürte, daß die Atmosphäre aufgeladen war wie vor einem schweren Sturm.
»Ich dachte, ich hätte dir gesagt, du sollst dich mit dem Sklavenjungen unseres toten Singvogels anfreunden.«
»Ja, Chef, das mache ich auch.«
»Und?«
»Er ist sehr verängstigt, Chef.«
»Und wenn er sich alle halbe Stunde in die Hose macht, das ist mir völlig wurscht! Wisch ihn trocken und setz ihn unter Druck. Ich will wissen, was er gesehen hat.«
»Er redet eine Menge wirres Zeug, Chef.«
»Wir können einen Dolmetscher besorgen, falls es mit seinem Latein hapert …«
»Es ist nicht sein Latein …«
»Hör auf mit der Korinthenkackerei, Porcius. Wir sind hier in Rom. Wir können vertrauenswürdige Dolmetscher für jede Sprache der Welt finden.«
»Chef, er ist einfach total verängstigt.« Wie ich auch, hätte Porcius hinzufügen können.
»Also bringt er’s nicht? Das kann ich mir nicht vorstellen. Er muß doch aus seinem Versteck unter dem Bett wenigstens ein paar Füße gesehen haben. Hat er gehört, ob etwas gesagt wurde? Weiß er vielleicht, wie viele Entführer ins Haus kamen? Haben die irgendwelche Fremdsprachen gesprochen?«
Porcius blinzelte ein bißchen, riß sich aber zusammen. Er schien ein gewisses Verantwortungsgefühl für den kleinen Sklaven entwickelt zu haben, den man in seine Obhut gegeben hatte. Jetzt versuchte er, sich gegen Petro zu wehren – keine gute Idee. »Chef, ich arbeite ja daran. Ich habe einen Plan, wie ich ihm was Vernünftiges entlocken kann. An dem Abend, als es passierte, war er sogar sehr mutig; der Schock muß erst hinterher gekommen sein. Er hat seinen Herrn geliebt, war ihm treu ergeben. Bisher habe ich nur rausgefunden, daß der Junge den Männern nachrannte, als sie Nonnius verschleppten …«
Als ich das hörte, zuckte ich zusammen. Petronius Longus sprang auf. So unter Streß, wie er war, pickte er sich den letzten Satz heraus und begann zu schäumen. »Was war das? Ich hab wohl nicht richtig gehört!«
Porcius erkannte seinen Fehler und zog den Kopf ein.
Petronius hatte ein Ventil für seine Frustration gebraucht. Der wohlmeinende Rekrut kam ihm da gerade recht. Petro war außer sich. »Wie lange weißt du das schon, Porcius? Willst du vorzeitig entlassen werden? In Rom wimmelt es von toten Männern und ausgeraubten Gebäuden, und du führst dich auf wie ein Zirkuspferd mit deiner ›Arbeit‹ an dem einzigen Zeugen! Schreib dir eins hinter die Ohren: Wenn du bei der Ermittlungseinheit dieser Kohorte dienen willst, bist du Teil eines Teams, eines Teams, das von mir geleitet wird. Du vergräbst dich nicht in privaten Plänen, sondern erstattest über jede Einzelheit – relevant oder irrelevant – deinen Kollegen und mir Bericht!«
»Dir wird gleich was platzen«, murmelte ich.
»Halt die Klappe, Falco!« Die Unterbrechung hatte ihn etwas abgekühlt. Trotzdem hieb er mit der Hand gegen die Wand. Das mußte weh getan haben. »Steh nicht da wie ein begossener Pudel, Porcius. Ich will genau hören, was der Sklave dir erzählt hat – jedes Detail –, und zwar ein bißchen plötzlich. Danach werde ich dich an deinen Schnürsenkeln kopfüber am Pons Probus aufhängen, und zwar so tief, daß du bei einlaufender Flut langsam ertrinkst!«
Er war immer noch so wütend, daß er etwas Energischeres tun mußte. Entweder würde er Porcius eine knallen oder das Mobiliar zertrümmern. Er schnappte sich einen Schemel und schleuderte ihn in hohem Bogen gegen die Tür.
Niemand sagte ein Wort. Das ganze Wachlokal wurde mucksmäuschenstill. Das übliche Geschimpfe der Diebstahlsopfer, die eine sofortige Untersuchung verlangten, und das Gezeter der letzte Nacht Verhafteten brachen abrupt ab. Die Gefangenen dachten, einer von ihnen sei beim Verhör quer durch die Zelle geschleudert worden. Sie befürchteten, der nächste zu sein.
Porcius hatte die Augen geschlossen. Wenn hier einer zusammengeschlagen werden würde, dann er, so viel war ihm klar.
Fusculus und Martinus, die hart im Nehmen waren, erschienen neugierig im Türrahmen. Ich bemerkte freundlich: »Bei all den Sitzmöbeln, die hier zu Bruch gehen, weil eure Nachbarn euch mit Felsbrocken bewerfen, und dem Zeug, das du noch selbst zertrümmerst, muß die Büromöbelrechnung der Vierten dieser Tage ja astronomische Höhen erreichen.« Petronius, knallrot im Gesicht und beschämt über seinen Ausbruch, bemühte sich, wieder ruhig zu werden.
Zu
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