Gnadenfrist
Pinzettenpäckchen wurden ihr von alten Sklavinnen in die Hand gedrückt, die einst ihre Ammen gewesen waren. »Alles Gute zum Geburtstag!« rief Helenas Vater, der bei all seiner zur Schau gestellten Unschuld genau wußte, wie man gute Stimmungen ausnutzte.
Helena hatte den Schlüssel des Kästchens an einem Wollfaden entdeckt. Sogar der Schlüssel war entzückend, eine winzige Angelegenheit mit gezacktem Bart, eingelassen in einen Fingerring. »Da liegt eine Nachricht für dich drin, Marcus.« Sie warf mir einen Fetzen von einer wiederverwendeten Schriftrolle zu. Ich wollte nicht mit Papa kommunizieren; ich tat so, als würde ich einen Blick drauf werfen, und verbrannte den Wisch dann an der nächsten Lampe.
Helena betrachtete und betastete entzückt das Innere des Kästchens. Am liebsten wäre ich unauffällig verschwunden, unter dem Vorwand, die Latrine aufsuchen zu müssen. Meine guten Manieren gewannen die Oberhand; ich biß statt dessen in ein Stück Kuchen. Honig tropfte mir über das Kinn.
Ich sah, wie sich Helenas Gesichtsausdruck veränderte. Es mußte noch mehr da sein; das erstaunliche Kästchen hatte einen Inhalt. Mein Herz klopfte wütend. Vorsichtig hob sie den Gegenstand heraus, und ich erkannte sofort, was es war. Gold blitzte auf. Reflexionen huschten wie Schmetterlinge über ihre Haut. »Oh!« rief Helena erstaunt. Dann hielt sie etwas von atemberaubender Schönheit hoch.
Um den Tisch wurde es still.
Langsam, als hätte sie Angst, etwas kaputt zu machen, legte Helena ihr Geschenk auf den Tisch. Immer noch glitzerten hundert winzige Goldplättchen im Licht. Helena drehte sich zu mir um. Alle anderen starrten auf das Geschenk. Das brauchte ich nicht. Meine Aufmerksamkeit galt Helena.
Es war eine Krone. Eine sehr alte Krone. Aus Griechenland. Sie hatte einst den Sieger eines klassischen Wettkampfs gekrönt, in einer Zeit, als Athleten noch die perfekte Harmonie zwischen Körper und Geist anstrebten. Sie bestand aus feinsten Blättchen und Eicheln, aufgehängt an so dünnem Golddraht, daß sie beim leisesten Lufthauch erzitterten. Auf den glitzernden Zweigen, aus denen die Krone geformt war, hockten bis ins kleinste Detail perfekt geformte Insekten, und eine kleine goldene Biene bildete den Verschluß.
Helenas Mutter versuchte, sich zusammenzunehmen. »Oh, Helena Justina, ich bin nicht sicher, ob du das annehmen kannst …« Die Stimme versagte ihr. »Marcus, du hast einen außerordentlich großzügigen Vater.«
Das war eindeutig eine Zurechtweisung: Das Geschenk war zu kostbar. Die aus dem niederen Volk stammenden Didii hatten sich unmöglich benommen. Für einen Verwandten eines inoffiziellen Schwiegersohns war so eine Gabe maßlos übertrieben.
Ich lächelte Helena liebevoll an. Ihre sanften dunklen Augen standen voller Tränen. Sie wußte Bescheid. Mit dem kleinen Finger berührte sie eine schimmernde Zikade, die sich unter einem Eichenblatt versteckte, streichelte sie so sanft wie die Wange eines Neugeborenen. »Papa hat seine Momente«, sagte ich leise zu ihr. »Er hat Stil und Geschmack und kann, wie deine Mutter sagte, außerordentlich großzügig sein. Und auch bedacht. Er hat sich offenbar große Mühe gegeben, genau das richtige Kästchen zu finden.«
»Die Krone ist hinreißend«, sagte sie.
»Du bist ein hinreißendes Mädchen.«
»Sie kann sie auf gar keinen Fall annehmen«, beharrte ihre Mutter, jetzt in festerem Ton. Ich hob die Augenbraue. »Na, kannst du, oder kannst du nicht, Herzchen?«
Helena Justina lächelte mir zu. Sie beachtete ihre Familie nicht, aber plötzlich hatten alle verstanden.
Der kostbare Augenblick der Zärtlichkeit zerplatzte wie eine Seifenblase. Quintus hatte sich aufgerichtet, das Gesicht mit Honig und Zimt verschmiert. »Marcus, ich soll dir was ausrichten. Dein Vater sagt, es tut ihm leid, daß er dich so ins Schwitzen gebracht hat. Er mußte erst die Krone von dem Mann zurückholen, an den er sie verkauft hatte.«
Der Mistbock! Justinus plapperte weiter, während ich die Zähne zusammenbiß. »Das wird dich nichts kosten – Geminus hat dem Idioten erzählt, er müsse sie zurückhaben, weil sie auf einer Liste der Vigiles als gestohlen gemeldet ist …«
Tausend Dank, Papa!
Helena kicherte. Einigen ihrer Verwandten mochte das seltsam vorkommen. In ernstem Ton sagte sie zu mir: »Ich frage mich – aus rein kommerziellem Interessen –, ob dein Vater diesem erwähnten Idioten genauso viel abgeknöpft hat, wie du vorher einem anderen
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