Gnadenfrist
Die tanzenden Figuren waren aus Bronze mit sehr dunkler Patina, schwerer und überladener, als es dem sonstigen Lebensstil ihrer Besitzer entsprach.
»Daß Sie mir Linus für Monate wegnehmen, ist nicht sehr nett von Ihnen, wissen Sie.«
Petronius sagte nichts.
Zweifel flackerte über Rufinas Gesicht. »Was wollen Sie mir sagen, Hauptmann?« Sie war die Frau eines Vigile, mußte sich während ihres gesamten Ehelebens vor einem solchen offiziellen Besuch gefürchtet haben.
Als Petronius ihr sagte, was passiert war, schrie sie so laut, daß wir draußen im Flur die Türen anderer Wohnungen aufgehen hörten. Zuerst tat sie, als könne sie es nicht glauben, und stieß dann, unter quälenden Schluchzern und wilden Ausrufen, all die Schmähungen hervor, die Petro befürchtet hatte.
»Sie hätten ihn nie dazu bringen dürfen!«
»Linus hat sich freiwillig gemeldet.«
Rufina heulte auf. »Er hatte Angst vor Ihnen!«
Wahrscheinlich hatte er mehr Angst vor seinem Ehegespons. Ich konnte mich vage erinnern, daß Linus angedeutet hatte, er wolle Italien verlassen, um ein wenig Frieden zu finden. Für mein Gefühl hätte es schlimmer sein können. Aber in Beziehungen können selbst Kleinigkeiten sich bald zu unüberwindbaren Hindernissen auftürmen. »Er suchte das Abenteuer«, sagte Petronius geduldig zu Linus’ Frau. Ich sah ihm an, wie sehr ihn Rufinas Hysterie erschütterte. »Er wollte gerne reisen.« Nicht, daß es ihm gelungen war.
»Oh, Linus, Linus! Oh, mein Liebling! Was soll ich nur tun?«
»Die Kohorte wird Ihnen jede nur mögliche Unterstützung zukommen lassen. Der Tribun wird Ihnen einen Brief schreiben …«
»Bekomme ich eine Entschädigung?«
Das war schon besser. Es kam wie ein Schuß heraus. Damit konnte Petro umgehen. »Ich denke, Sie werden eine bescheidene Summe erhalten, genug für eine kleine Rente. Linus war ein guter Offizier, der im Dienste des Staates gestorben ist …«
»Klein!«
»Natürlich kann nichts ihn ersetzen.«
»Klein, sagen Sie! Er hat was Besseres verdient. Ich als seine einzige Stütze bei seinem grausamen Beruf habe was Besseres verdient!«
»Wir haben alle etwas Besseres verdient, als Linus zu verlieren.«
Wir erreichten nur wenig, und sobald es der Anstand erlaubte, standen wir auf, um uns zu verabschieden. In dem Moment fiel es Rufina ein, uns noch mehr in Verlegenheit zu bringen: »Wo ist er jetzt?«
»Noch nicht in Rom«, gab Petronius kurzangebunden zurück. Er war sehr blaß geworden. »Sie sollten ihn sich nicht ansehen. Rufina, ich bitte Sie, tun Sie es nicht!«
»Er ist mein Mann! Ich will ihn ein letztes Mal in meinen Armen halten. Ich will wissen, was sie ihm angetan haben …«
Petronius Longus hob die Stimme und wurde so barsch, daß sie verstummte. »Behalten Sie Linus so im Gedächtnis, wie er war! Was sie nach Rom zurückbringen, ist eine sechs Tage alte Leiche, die im Freien gelegen hat. Das ist nicht er, Rufina. Das ist nicht Ihr Mann; das ist nicht der Freund und Kamerad, der unter mir gedient hat.«
»Woher soll ich dann wissen, daß es wirklich Linus ist? Vielleicht ist es ja eine Verwechslung.«
Schwach warf ich ein: »Petronius Longus wird sicherstellen, daß es keine Verwechslung gegeben hat. Beunruhigen Sie sich nicht damit. Er wird tun, was getan werden muß; Sie können sich auf ihn verlassen.«
In dem Moment brach die Witwe zusammen. Mit einem kleinen pathetischen Gurgeln fiel sie Petro schluchzend in die Arme. Sie war größer als die Mädchen, die er sonst gern tröstete, älter und in ihrer Art viel härter. Aber er zuckte nicht zusammen und hielt sie in seinen kräftigen Armen, während sie sich ausweinte. Es gelang mir, eine Nachbarin zu finden, die sich um sie kümmern würde, und wir schlichen uns davon.
Als der Fuhrmann die Leiche zur Porta Ostiensis brachte, warteten Petro und ich dort schon auf ihn. Die Zöllner hatten einen Beerdigungsunternehmer aufgetrieben, der einen geschlossenen Sarg auf Lager hatte; Linus kam nach Hause wie ein General, der auf einem auswärtigen Feldzug gestorben ist. Aber bevor wir ihn den Männern übergaben, die das Begräbnis arrangieren würden und mit uns zum Tor gekommen waren, wickelte sich mein Freund Lucius Petronius ein Tuch um das Gesicht und bestand darauf, daß der Sargdeckel angehoben wurde, damit er seinen Mann formell identifizieren konnte.
Wie Petronius schon Rufina gewarnt hatte, wies die Leiche nach sechs Tagen in Sonne und salziger Luft wenig Ähnlichkeit mit dem klugen,
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