Gnadenfrist
draußen, Tertulla. Paß auf, daß du dich nicht verbrennst, dann bring sie zu uns rein …«
»Ich mag dieses Spiel nicht.«
»Dann komm wenigstens rein und sag uns guten Tag«, meinte Petronius. »Wir haben dir noch gar nicht gesagt, welches Spiel es ist.«
Eine Pause entstand, in der ich meinte, vor Ungeduld zu explodieren, dann öffnete sich die Tür quietschend etwas weiter, und ein verängstigtes kleines Mädchen trippelte herein. Die Kleine trug ein Kleid, das selbst ihre Mutter mißbilligt hätte. Sie war schmutzig und erschöpft, hatte die jämmerliche Haltung eines Kindes, das zwar total verschreckt ist, jedoch trotzdem nicht nach Hause will. Wenn die Bestechung, die wir ihr anboten, beeindruckend genug war – zum Beispiel Schutz vor ihrer wütenden Mutter –, könnte es uns gelingen, Tertulla auf unsere Seite zu ziehen.
LXII
Petronius Longus hatte schon immer ein spezielles Lächeln besessen, das er stets dann einsetzte, wenn er etwas plante, das meine Anwesenheit nicht erforderte. Jetzt erfuhr ich, daß Petronius, wenn er dieses Lächeln geschickt einsetzte und auf seine ruhige, freundliche Art redete, jede unwillige Frau zur sofortigen Kapitulation bringen konnte. Er hatte vermutlich Übung darin. Schließlich war er Vater von drei kleinen Mädchen.
Irgendwie gelang es Petronius, Tertulla zu einem Spiel zu überreden, bei dem sie ihn von den Ketten befreite, in die er verpackt war. Dann machten sich die beiden daran, mich mühsam aus dem Gewirr zu lösen, das mich so viel enger gefesselt hatte.
Er ruckte meine Arme rauf und runter. »Tut das weh?«
»Aua! Ja.«
»Gut«, sagte er. »Dann sind deine Nerven noch nicht vollkommen tot.«
Der große Raum lag verlassen da. Der Blumenschmuck war plattgetreten. Hinter der obszönen Statue der in außergewöhnlichen Stellungen miteinander verschlungenen Gestalten entdeckten wir ein Fenster. Es führte auf ein Dach, das sich zur Straße absenkte. Ich mußte zugeben, daß meine Arme noch nicht belastbar waren; als das Blut zu zirkulieren begann, war der Schmerz unerträglich. Also stieg Petro vorsichtig hinaus, betete, daß die Dachschindeln halten würden, und sprang dann auf die Straße. Tertulla brauchte keine Ermutigung, hinterherzuspringen, wenn dieser wunderbare Mann sie auffangen würde. Ihm bereits vollkommen ergeben, krabbelte sie über das Dach und ließ sich in seine Arme fallen. Ich hatte sie am Kleid zurückhalten müssen, bis Petronius in Position stand.
Wir hatten uns geeinigt, daß es nun an der Zeit war, vernünftig zu handeln. Ich wartete, bis ich Petronius mit meiner Nichte auf dem Arm davonrennen sah. Er würde das Kind in Sicherheit bringen und dann mit Verstärkung zurückkommen – diesmal würde er den pieseligen Rubella endgültig davon überzeugen können, daß wir auf die Empfindlichkeit der Sechsten Kohorte keine Rücksicht zu nehmen brauchten. Auch ich würde, hier allein gelassen, vernünftig sein. Ich würde mich irgendwo verstecken und ruhig abwarten.
Sobald er außer Sichtweite war, ließ ich diesen Gedanken fallen und ging hinüber zu der Tür, die mich in Lalages Gemächer führen würde.
Es war auffallend still. Ich klopfte leise, für den Fall, daß sie gerade mit einer delikaten Aufgabe beschäftigt war, dann trat ich ein.
Sie stand auf der anderen Seite des Zimmers an einem Vorhang. Offenbar war sie allein. Obwohl sie nicht auf mein Klopfen geantwortet hatte, wurde ich mit einem graziösen, höflichen Winken willkommen geheißen. Der Raum duftete stark nach den üblichen Parfums. Lalage trug das Armband, das ich repariert hatte. Ihr Gewand war aus fließender, goldfarbener Seide, so fein, daß es ihre prächtige Fraulichkeit verbarg und gleichzeitig betonte. Hoch aufgerichtet und mit Juwelen geschmückt, war diese wunderbare Gestalt nicht mehr mit dem Mädchen zu vergleichen, das ich einst gekannt hatte. Ich war wütend und zerschlagen, erwärmte mich aber augenblicklich an ihrem gefährlichen Charme.
»Marcus Didius! Warum habe ich nur das Gefühl, daß ich dich hätte erwarten sollen? Willkommen in meiner Laube.«
Ich blieb stehen und sah mich um. Hinter dem Vorhang konnte niemand sein – der war an einer Vorhangstange befestigt und konnte sittsam vor ein Bett in einem Alkoven gezogen werden, der mir bisher entgangen war. Vielleicht war es ihr eigenes Bett. Selbst Nutten müssen mal schlafen. Vielleicht gönnte sich eine Prostituierte ihres Kalibers, wenn sie träumend auf dem Rücken lag, den Luxus
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