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Gnadenlose Gedanken (German Edition)

Gnadenlose Gedanken (German Edition)

Titel: Gnadenlose Gedanken (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Wagner
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das wahre Leben geht. Das Leben spielt sich außerhalb ihrer verlogenen Kirchenmauern ab. Sie verkriechen sich in ihrer Kirche, verstecken sich unter ihren Altar. Die katholische Kirche ist dem Wahn verfallen, dass sie die Regeln vorgeben würde, nach denen ihre Lämmer blöken dürfen. Nein, nicht nur ihre Lämmer,
alle
Schafe dieser Welt. Doch in Wahrheit kümmert sich die Welt einen Scheißdreck um ihre Regeln. Sehen Sie sich doch nur einmal ihre berühmten zehn Gebote an! Das ist ein satirisches Stück in zehn Akten! „Du sollst deine Eltern ehren!“, oder so ähnlich. Und meine Eltern? Denken Sie wirklich, sie hätten es verdient, verehrt zu werden? Sollten sie nicht eher froh darüber sein, dass ihr Sohn sie noch an sich heranlässt? Was haben sie nicht alles verkorkst in meinem Leben! Sie haben doch sogar ihr
eigenes
Leben verpfuscht, wie sollten sie denn
mein
Leben in die richtigen Bahnen lenken können? Schauen Sie sich doch nur meine Mutter an, sie sitzt direkt vor ihnen! Da haben Sie ein Paradebeispiel dafür, was eine unglückliche Ehe anrichten kann, und wie wenig eine falsche Religion dies vermeiden kann!“

    Der Pfarrer und meine Mutter begannen sofort mit einem Wettstreit, wer denn nun empörter blicken konnte. Meine Mutter schlug ihn um Längen.
Damit
hatte sie nicht gerechnet! Sie war dem Glauben verfallen, sie hätte mich zu einem wahren Prinzen erzogen, der genau wusste, wie man sich richtig verhielt. Der sich haargenau an die Regeln der Gesellschaft halten konnte. Und dazu gehörte sicherlich nicht, seine Mutter zu erniedrigen. Schon gar nicht im Beisein eines Kirchenmannes! Doch was kümmerte es mich? Sie interessierte sich doch
kein Stück
für mein Leben. Sie wollte doch in Wahrheit, spätestens seit dem Unfall, nichts von mir wissen. Sie hatte dem Pfarrer von meinem Leben berichtet, dabei kannte sie es doch überhaupt nicht. Ähnlich wie bei meiner Oma, hielt sie sich fern von mir. Nur, dass es bei mir nichts zu erben gab. Klar, sie machte sich, genau wie mein Alter, Vorwürfe und Sorgen. Doch waren die wirklich echt? Oder waren sie nicht eher instinktiv, von der Natur vorgegeben?
    Im Augenblick hatte meine Mutter auf jeden Fall vergessen, dass sie einen Sohn hatte. Sie saß einer Bestie gegenüber, die sie zerfleischen wollte. So sah sie mich zumindest an. Als wollte ich sie gleich anfallen und auffressen. War es nicht bei unserem letzten Zusammentreffen genauso gewesen? Hatte sie mich da nicht auch mit ihren verängstigten Eichhörnchenaugen angeblickt? Heute war es noch schlimmer. Ihr anfänglicher Übermut, ja, ihre Arroganz, war vollends verschwunden. Er war einer echten Panik gewichen. Meine liebe Frau Mutter hatte tatsächlich Angst vor ihrem Sohn. Wie schön!

    Ein fremder Gedanke lenkte mich ab.

    [Hier an dem Tisch scheint ja richtig die Post abzugehen! Der Junge im Rollstuhl heizt seiner Alten ganz schön ein. Und der Pfarrer guckt nur betreten drein. Schade, dass ich mich nicht dazusetzen darf. Vielleicht kann ich ja wenigstens ein paar Worte aufschnappen. Wenn ich das nächste Mal Stress mit meinen Eltern habe, hilft mir das möglicherweise.]

    Die Bedienung war wieder an unseren Tisch getreten, von uns unbemerkt. Sie balancierte drei Teller auf ihrem Arm, dies machte sie mit so einer Eleganz, als seien sie an ihrem Körper festgeklebt worden.
    Meinen Begleitern schien der Appetit allerdings vergangen zu sein, sie schauten nicht besonders erfreut, als sie das Essen bemerkten. Ich hatte allerdings Kohldampf wie ein hungriger Wolf. Vielleicht beruhigte das aber auch meine Mutter, wenn sie sah, dass sich wenigstens meine Essgewohnheiten noch nicht geändert hatten.
    Meine Tischpartner stocherten in ihren Tellern herum, als wären sie mit Maden und Würmern garniert. Ich nahm dies mit Genugtuung zur Kenntnis, und nahm es als Zeichen dafür, dass ich wieder die Oberhand in unserem Gespräch gewonnen hatte. Vorerst waren sie verstummt. Kein Wort des Vorwurfs oder der Beschuldigung kroch mehr aus ihren zugekniffenen Mündern, und ich konnte in Ruhe mein blutiges Steak zerkauen.

    „Hat es ihnen geschmeckt?“, fragte die Bedienung mit einem süffisanten Grinsen.
    Ihr war unser Disput nicht entgangen, und mir war klar, für wen sie Partei ergriff.

    „Vielen Dank!“, antwortete ich ihr mit einem Lächeln, welches ihr verraten sollte, dass ich ihre Solidarität bemerkt und dankbar angenommen hatte.
    Interessiert stellte ich außerdem fest, dass sie mir mittlerweile in die Augen

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