Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Gnadenlose Gedanken (German Edition)

Gnadenlose Gedanken (German Edition)

Titel: Gnadenlose Gedanken (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Wagner
Vom Netzwerk:
lebensbedrohenden Umständen in die viel zu kleine Jogginghose gezwängt worden sein konnten. Obwohl ich in dieser Hose hätte bequem zelten können, mit dem dicken Manfred an meiner Seite. Doch bei
ihm
sah es aus, als würden seine bombastischen Muskeln den Stoff schon mit dem nächsten Schritt zerfetzen. Apropos Muskeln! Ich hatte einmal erlebt, wie ein Grizzlybär im Zoo sein Gehege zerlegt hatte. Der hob mit einer Pranke seinen Kletterbaum an, als ob es ein Zahnstocher gewesen wäre. So ein Bär hätte bei einem Ringkampf mit meinem Freund keine Minute überstanden. Der Kerl machte den Eindruck, als würde er Grizzlys zum Frühstück vernaschen. Seine Arme waren so stark, dass die Bizeps wie Kokosnüsse aussahen. Er hatte erst gar nicht den Versuch unternommen, sie in irgendein Kleidungsstück zu zwängen. Er trug ein ärmelloses T-Shirt, und bei ihm wirkte das keineswegs wie Protzerei. Es lag einfach in der Natur der Dinge. Für diese Arme gab es keine Konfektionsgröße, denn dieser Armumfang war schlicht unnatürlich. Sein Kopf saß auf wuchtigen Schultern. Schultern, die einen Ochsen hätten tragen können, als sei er ein kleines Kätzchen. Der Kopf war, im wahrsten Sinne des Wortes, die Krönung. Es war der Kopf eines Stieres. Wenn man an den Ausdruck dachte: „Er hatte einen Stiernacken“, dann musste man sich ernsthaft überlegen, ob man die deutsche Sprache nicht schleunigst modifizieren musste. Wenn ein Stier
diesen
Nacken gesehen hätte, dann wäre er vor lauter Scham in Tränen ausgebrochen. Das Kinn war aus Stahl. Eine andere Möglichkeit gab es nicht. Was sonst hätte diese Gesichtspartie
so
aussehen lassen können? Sie unterstrich einen Mund, der nur zwei Funktionen zu haben schien. Grinsen und Fressen. Die Lippen waren dünn, und sie schienen aus Leder zu sein. Wenn man sie sah, dann war man auf die Zähne dahinter gar nicht mehr neugierig. Die Lippen alleine konnten Leben nehmen. Ein kurzes Zuschnappen, und alles war vorbei. Die Augen des Killers waren Killeraugen. Ein dämlicher Satz, aber er sagte alles. In diesen Augen war nicht die leiseste Andeutung von Gefühlen oder Selbstzweifeln zu lesen. Diese Augen wollten lediglich eines sehen: das Blut eines getöteten Lebewesens, am besten das eines Menschen. Zu sagen wäre noch, dass dieser Riese seine Augenbrauen tief, sehr tief, heruntergezogen hatte.
    Als ich ihn so auf mich zukommen sah, verstand ich, warum er den dringenden Wunsch hatte, mich zu töten. Wenn man in so einem Körper steckte, dann musste man zwangsläufig dieses Hobby haben. Er war zum Töten geschaffen.

    Etwas anderes beunruhigte mich außerdem. Warum war er mir bisher noch nie zuvor aufgefallen? Alle Leute drehten sich nach ihm um. So ein Mann konnte sich unmöglich verbergen! Er fiel einfach auf, ob er es wollte, oder nicht. Und ich war in den letzten Wochen mit nur einem Ziel fast täglich zu diesem Platz gekommen: ich wollte die Menschen hier beobachten. Das war mir auch gelungen. Ich hatte die kuriosesten Leute gesehen,
ihn
hatte ich nie bemerkt. Obwohl ich doch gewusst hatte, dass er auch mich beobachtet hatte. Das ließ nur einen Schluss zu: er sah nicht nur wie ein wildes Tier aus, er war auch genauso gerissen. Das machte ihn noch um ein Vielfaches gefährlicher. Denn eigentlich hatte ich die Erfahrung gemacht, dass körperliche Stärke oftmals mit geistiger Einfalt einherging. In diesem Fall schien das leider nicht zuzutreffen.

    Wie hätte ich so einem Monster nur entkommen können? Selbst, wenn ich meine Beine noch hätte benutzen können, und selbst wenn ich immer noch das tägliche Training eines Hochleistungssportlers gehabt hätte, so wäre ich dennoch gegen diesen übermächtigen Gegner chancenlos gewesen. Aber im Rollstuhl sitzend?! Eigentlich war ich doch schon tot! Ich hätte mir doch eigentlich die Mühe sparen können, noch weiter zu atmen. Es war überflüssig. Der Typ, der da auf mich zugeprescht kam, wollte nur eines: mich töten, mein Leben beenden. Und ganz egal, wer oder was sich ihm in den Weg stellte, er würde den Versuch erst dann beenden, wenn er ihn
erfolgreich
beendet hätte! Er würde mich so lange verfolgen, bis er mich erwischt hätte, um mich dann langsam und voller Genuss zu zerreißen. Ihm würde es nicht ausreichen, mich umzubringen. Nein, Spaß wollte er natürlich auch dabei haben. Dringend wollte er diesen Spaß haben. Sehr dringend! Es war für ihn wie ein Zwang. Ich wäre nicht überrascht gewesen, wenn er in genau diesem Moment

Weitere Kostenlose Bücher