Gnadenlose Gedanken (German Edition)
däml-…]
[Gott! Hilf mir! Ich darf doch jetzt nicht sterben! Nicht jetzt! Ich muss mich doch um Jasmin kümmern, sie braucht doch ihre Mami! Bitte, lieber Gott! Hilf mir jetzt, sonst…]
Ich wurde wahnsinnig! Ich konnte diese Gedanken nicht mehr länger ertragen. Warum hatte man denn keine Knöpfe an seinem Kopf, an denen man die Hirntätigkeit ein- und ausschalten konnte? Ich hielt es nicht mehr aus.
„Seid endlich still!“, brüllte ich.
„Lasst mich zufrieden mit euren albernen Gedanken! Behaltet sie für euch, ich will sie nicht!“
Doch die einzigen Reaktionen, die ich auf meine dezente Bitte hin erhielt, waren die konfusen Gedanken eines Matrosen, der wohl die größte Zeit seines Lebens damit zugebracht hatte, eine Elster zu dressieren. Er hatte sie darauf abgerichtet, ihm Uhren und Schmuck zu stehlen. Deshalb hatte er nun ein schlechtes Gewissen, und das hatte er zum Thema seines persönlichen Sterbefilms gewählt.
Und weiter ging es. Ein Film war schlechter als der andere.
[…- umen, was wird nun aus meinen Blumen? Wer soll sich denn jetzt um die schönen ro-…]
[Borussia! Wer sonst, wenn nicht die Borussia? Ich hab es dem Karl schon vor der Saison gesagt, und ich würde es heute wieder sagen. Meister wird nur die Borus-…]
[…jeden Tag. Immer wieder. Einmal hätte doch Schluss sein müssen! Jeden Tag dieselbe Prozedur, furchtbar!]
[…Schweißfüsse waschen. Aber er hat es doch noch nicht einmal geschafft, sich täglich zu rasieren! Und dann beschwert sich dieses Schwein auch noch, wenn ich ihn nicht mehr ranlasse! Ekelha-…]
[…Gläschen am Tag. Da kann man doch nicht von Alkoholismus reden! Aber dieser dämliche Amtsarzt wusste es natürlich besser! Und jetzt muss ich ersaufen, anstatt mich zu besaufen! Das nennt man dann wohl Ironie des Sch-…]
So ging es in einer Tour weiter. Die Ertrinkenden luden ihren geistigen Müll bei mir ab, missbrauchten mein Gehirn als Klo für ihren gedanklichen Dünnschiss.
Ich hatte mich so stark gefühlt, nachdem ich damals im Supermarkt die ersten fremden Gedanken gelesen hatte. Die Ausflüge zum Kennedy-Platz waren so interessant und aufbauend für mich gewesen. Effektiver als jede Therapie. Heute verfluchte ich diese „Gabe“.
Ich wollte nichts mehr wissen, von Bratwürsten, Straßenkreuzungen, Gorillas, Taubendreck, Marmeladenflecken auf Bademänteln, Vasen, die einen Sprung hatten, von bellenden Hunden, die aus harmlosen Schulwegen eine Dschungelexpedition machten, von Juden und Nazis, Flaschen und Windspielen. Ich konnte es nicht mehr hören, wie alte Frauen an ihren ersten Sex dachten, wie kleine Kinder an ihren Lieblingsteddy dachten, Männer um ihre verschrotteten Autos trauerten, und Krankenschwestern sich an ihre erste Blutentnahme erinnerten.
Warum dachten die Menschen ausgerechnet an diese Scheiße, in dem Moment wo sie abkratzten? War
das
wirklich unser Leben? Ging es darum? Waren wir deshalb auf diesem Planeten? Um uns in unserer letzten Minute Sorgen um umgeknickte Grashalme oder verpasste Liebschaften zu machen?
Ich konnte nicht mehr. Irgendetwas musste ich dagegen unternehmen, musste dem Spuk in meinem Kopf ein Ende bereiten. Ein im Wasser treibendes Transistorradio, (warum war es nicht untergegangen?), war mir bei der Lösung meines Problems behilflich. Kurzentschlossen zog ich es aus dem Wasser und schlug es mir, - ohne großes Zögern -, auf den vibrierenden Schädel. Außer einem unangenehmen Schmerz hatte dieser Versuch aber keine größeren Konsequenzen. Ich schlug nochmals zu, dieses mal härter. Sofort stellte sich die gewünschte Wirkung ein. Das Letzte, was ich noch spürte, war das Blut, das mir an der Schläfe herunter lief. Dann war endlich Ruhe!
18
Laschek wachte auf, und natürlich spürte er zuerst den Hunger, der in seinem leeren Magen um Aufmerksamkeit bettelte. Das Zweite, was er feststellen musste, war, dass die Welt auf dem Kopf stand. Doch nein, das war so falsch ausgedrückt. Richtig war: er hing hinunter, jemand hatte seine Füße mit einem Seil festgebunden, das er wiederum an einem Balken befestigt hatte. Dieser Künstler hatte entweder einen Flaschenzug im Keller gehabt, oder er verfügte über übermenschliche Kräfte. Als Laschek sich an das Zusammentreffen mit dem Irren erinnerte, wusste er, wie er in diese ungewohnte Lage, und zu der neuen Perspektive gekommen war. Diesem Monster traute er es durchaus zu, dass es ihn mit einer Hand hochheben könnte, um ihn dann mit der anderen zu
Weitere Kostenlose Bücher