Gnadenlose Gedanken (German Edition)
fesseln. Wahrscheinlich konnte er dies sogar auf einem Bein stehend, ein Liedchen trällernd und sich im Kreis drehend, schaffen. Der Typ war eine Maschine, kein Zweifel. Wohlmöglich war er aus irgendeinem geheimen Laboratorium der Regierung geflohen, die experimentierten doch heutzutage mit allen möglichen Dingen. Vielleicht war er ja genmanipuliert? So einen Körper konnte man doch nicht nur durch Müsli und Liegestützen bekommen! Da musste doch mehr dahinter stecken!
Aber Laschek hatte im Moment eigentlich ganz andere Interessen, als die Herkunft des Monsters aufzuklären. Sein Kopf fühlte sich an, als wäre er mit einhundert Litern Wasser gefüllt, was ihn nicht weiter verwunderte, wahrscheinlich hing er schon eine längere Zeit, wie ein halbes Schwein im Schlachthaus, an diesem Seil. Wenn es ihm nicht bald gelänge, sich aus dieser stark gewöhnungsbedürftigen Haltung zu befreien, würde seine Birne zerplatzen wie eine überreife Melone. Doch die Fressorgien der letzten Jahre hatten ihre Spuren hinterlassen. Vor zehn Jahren und dreißig Kilogramm, wäre es ihm vielleicht noch gelungen, seinen Oberkörper bis zu den Beinen aufzurichten, um sich dann von den Fußfesseln befreien zu können. Die Muskeln von damals besaß er zwar immer noch, allerdings waren sie heute von Fettgewebe überwuchert. Diese Masse hochzuhieven war unmöglich. Aber was sollte er tun? Er drückte seinen Wasserkopf auf die Brust, um eine bessere Sicht auf die festgebundenen Füße zu bekommen. Dieser Irre hatte wirklich ganze Arbeit geleistet, die Knoten waren fachmännisch geknüpft. Keine Chance. Vielleicht sollte er einfach um Hilfe rufen? Was blieb ihm auch anderes übrig? Er konnte sich doch hier nicht so hängen lassen, bis der Irre der Meinung war, dass er reif für die Schlachtung sei. Doch Laschek hatte irgendwie das Gefühl, dass er sich in einem abgelegenen Haus befand. Kein normaler Mensch hätte die Nähe zu solch einem Tier, wie es sein Entführer zweifelsfrei war, geduldet. Jeder Nachbar hätte die Polizei und die Behörden solange bestürmt, bis sie ihn endlich entfernt hätten. Jeder vernünftige Mensch hätte die Nachbarschaft zu diesem Arschloch gekündigt. Laschek wäre bereit gewesen, dafür bis in die Antarktis auszuwandern, obwohl die Küche dort nur sehr wenig Abwechslung zu bieten hatte.
Nein, Hilfe würde er durch sein Rufen nicht bekommen, höchstens noch mehr Ärger. Ärger mit einem Tier, das sich in der Haut eines Menschen versteckte. Er musste schon alleine mit ihm klarkommen.
Im Kommissariat würde man ihn nicht so schnell vermissen, da machte er sich nichts vor. Man war es dort von ihm gewohnt, dass er sich manchmal tagelang nicht meldete. Er war ein Einzelgänger, hielt es mit keinem Menschen länger aus. Sein Chef hatte einmal darauf bestanden, dass er einen jüngeren Kollegen mitnahm, um ihm ein paar Ermittlungstricks zu zeigen. Der Kleine war ziemlich zäh gewesen, er hatte es immerhin zwei Tage mit Laschek ausgehalten. Wenn er richtig informiert war, dann arbeitete der Kleine inzwischen als Sicherheitschef eines großen Konzerns. Er machte seinen Job dort bestimmt hervorragend, Talent hatte er ohne Zweifel besessen.
Seit dieser Zeit hatte Lascheks Chef eingesehen, dass er dann am besten arbeiten konnte, wenn er in Ruhe gelassen wurde. Seine Erfolge gaben ihm recht, und er konnte sich so manche Extratouren erlauben, von denen seine Kollegen nur träumen konnten. Sie beneideten ihn darum. Nicht wenige hätten sich bestimmt zur Feier des Tages eine dicke Havanna ins Gesicht gesteckt, wenn sie von seiner derzeitigen Lage erfahren hätten. Suchen würde ihn niemand. Und wenn doch? Wo sollten sie ihn denn suchen? Niemand hatte ihn zusammen mit dem Riesen gesehen. Der Verkäufer von der Wurstbude hatte andere Sorgen, als sich um zwei Walrösser zu kümmern, die sich vor seiner Bude ihre Wampen vollgeschlagen hatten.
Lascheks Chef würde auch kaum auf die Idee kommen, eine Suchmeldung auszugeben. So nach dem Motto: gesucht wird ein langjähriger Hauptkommissar des Dezernates für Gewalt- und Schwerverbrechen, der nicht alleine auf sich aufpassen konnte.
Irgendwie war Lascheks Lage im doppelten Sinne ungemütlich. Das würde sich auch nicht durch das Erscheinen seines neuesten Freundes ändern, der plötzlich grinsend vor ihm stand.
„Na? Ausgeschlafen? Lust auf ein kleines Spielchen?“
Das dämliche Grinsen wollte einfach nicht aus seiner Visage verschwinden. Kein Wunder, im Moment war er
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