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Gnadenlose Gedanken (German Edition)

Gnadenlose Gedanken (German Edition)

Titel: Gnadenlose Gedanken (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Wagner
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unfreiwilligen Zusammentreffen der beiden Kähne gekommen. Das wäre mit diesen Geräten doch wahrscheinlich gar nicht erst passiert. Oder?
    „Hiiiiiieieieiellllffffeeee!!!“
    Warum antwortete nicht wenigstens einer der anderen Schiffsbrüchigen? Ich konnte doch unmöglich der einzige Überlebende sein! Da musste doch noch jemand sein! Mir kam eine neue Idee.
    „Maaaanfreeeed!!!“
    Was wohl mit dem armen Kerl geschehen war? Er hatte mir einmal gestanden, dass er nicht schwimmen konnte, dass er es nie gelernt hatte. Nicht, dass es ihm in diesem rauen Meer viel genützt hätte, aber es konnte einen wenigstens für eine kurze Weile etwas beruhigen, und im wahrsten Sinne über Wasser halten. Ich glaubte sowieso, dass ein Nichtschwimmer in Seenot, sofort zum Spitzenschwimmer mutieren würde, dafür hingen die Mitglieder der menschlichen Rasse viel zu sehr an ihren erbärmlichen Leben. Aber warum konnte ich denn keinen von ihnen hören oder sehen? Es trieb ein Haufen Plunder im Wasser, aber nichts sah auch nur im Entferntesten wie ein Mensch aus. Noch nicht einmal eine Wasserleiche bekam ich zu sehen. Nur wertlosen Krempel.

    „Hiiiiieieieiellllfffeee, verdaaaammmtnochmal!!!! Wo seid ihr denn? Ist denn hier niiiieeemaaand?“

    Die letzten beiden Sätze hatte ich dann vorsichtshalber doch lieber wieder in Zimmerlautstärke gesagt. Ich wollte nicht wirklich, dass sie gehört wurden. Ich wollte mich schließlich nicht blamieren. Ich musste meine Augenbrauen verwundert hochziehen, so kindisch waren meine Gedanken. Aber ich hatte ja auch noch nicht so viel Übung im in Lebensgefahr sein, war sozusagen noch ein blutiger Anfänger. Aber immerhin kein blutender mehr. Die Wunde an meiner Schläfe hatte es aufgegeben, um Aufmerksamkeit zu betteln. Ihr leises Pochen erinnerte mich aber immerhin noch an ihr Zustandekommen. Die fremden Gedanken waren wirklich furchtbar gewesen. Mich hatten in den letzten Jahren wirklich schreckliche Albträume gequält, aber so etwas hatte ich noch nie empfunden. Diese Banalität, diese Kleinigkeiten, an denen die Sterbenden ihre letzten Gedanken verschwendet hatten, waren für mich schockierend gewesen. Ich hatte mir schon so oft über den Tot und das Sterben Gedanken gemacht. Aber niemals in dieser Form. Meine Vorstellungen waren da schon etwas romantischer und anspruchsvoller gewesen. Ich hatte an so etwas wie Himmelschöre gedacht, und dass man seinen eigenen Körper von außerhalb beim Abkratzen beobachten würde. Aber doch nicht so eine Scheiße! Da konnte man doch wirklich die Lust aufs Sterben verlieren! Nein. Sterben wollte ich heute wirklich nicht. Wenn die Kälte zunehmen würde, und Hunger und Durst dazukommen würden, dann vielleicht morgen. Aber heute noch nicht!

    „Haaalllllooooooo!!“
    Ein wenig Abwechslung konnte ja auch nicht schaden.
    Was hätte in meiner Situation denn überhaupt noch schlimmer sein können? Wie lautete noch mal das Motto der Iren? It could be worse! Es könnte schlimmer sein! Der Opa hätte ja auch noch mit draufgehen können. Die Iren waren wirklich ein optimistisches Völkchen. Schon bewundernswert, bedachte man die ganze Scheiße, die sie in ihrer Geschichte schon erlebt hatten. Kartoffelpest und Hungersnöte. Briten, die sie ausgeraubt und unterdrückt hatten. All die Töchter und Söhne, die ihr Land verlassen mussten, weil es sie nicht mehr ernähren konnte. Und seit ein paar Jahren kamen auch noch die Touristen. Armes Irland! Aber: es könnte schlimmer sein!
    Aber was hätte denn meine Situation noch verschlimmern können? Mir fiel dazu nichts passendes ein.
    Bis ich ein Zischen hörte, das aus dem Rand des kleinen Rettungsbootes kam, das mir gnädigerweise Asyl gewährt hatte.

    Laschek plagten ähnliche Gedanken. Er betrachtete die Situation allerdings doch etwas pessimistischer als ich. Ihm fehlte da vielleicht etwas von der irischen Mentalität, die ich mir mit Hilfe etlicher Gläser Guinness einverleibt hatte.

    Der Riese war nun schon eine Weile verschwunden, und Laschek wusste nicht so genau, ob ihn das freuen oder verzweifeln lassen sollte. Was war angenehmer? Kopfunter an einem Seil zu hängen, und langsam aber sicher zu verbluten, oder der Spielkamerad von einem durchgeknallten Irren zu sein, der losgezogen war, Gottes Welt von den kleinen Ratten zu erlösen, die sie angeblich vernichten wollten? Tja, was war denn nun angenehmer? Messer im Auge, oder Schwanz im Fleischwolf? Beides war nicht so besonders schön, das stand auf jeden Fall

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