Gnadenlose Gedanken (German Edition)
bis auf zwei Armlängen an sie herangepaddelt, und sie verschwand einfach unter Wasser. Schade war nur, dass sie nicht wieder auftauchte. Was jetzt? So kompliziert hatte ich mir meine Heldentat aber nicht ausgemalt. Es gab halt Tage, da ging aber auch einfach
alles
schief! Was blieb mir denn anderes übrig? Ich ließ mich ins Wasser fallen. Ich sprang zwar nicht so spektakulär wie ein Klippenspringer,- da sorgten schon alleine meine Spinnenbeinchen für -, aber der ein oder andere Zuschauer hätte vielleicht trotzdem applaudiert.
Das Wasser war noch kälter als ich es befürchtet hatte, und auf einmal war es auch nicht mehr so ruhig, wie ich es eben noch vermutet hatte. Die Kälte raubte mir erst einmal den Atem. Immerhin war ich mit dem Element Wasser vertraut, es war einmal über viele Jahre hinweg meine zweite Heimat gewesen, meine Zweitwohnung. Es wollte mit Respekt behandelt werden und den hatte ich reichlich. Was es gar nicht mochte, waren panische Bewegungen. Wasser war ein königliches Element, das keine unwürdige Hysterie akzeptierte. Auch wenn da eben eine Frau untergetaucht war, die das bedauerlicherweise ohne Sauerstoffflasche gemacht hatte, zwang ich mich zur Ruhe. Es würde nichts nutzen, wenn ich jetzt wie ein Zitteraal durchs Wasser zappeln würde, um sie zu finden. Ich wartete einen Moment ab, bis sich mein geschundener Körper ans das Eiswasser gewöhnt hatte, dann tauchte ich vorsichtig unter.
Ich steckte nur meinen Kopf unter Wasser und versuchte durch die Brühe etwas zu erkennen. Und dann sah ich sie auch schon. Sie war zum Glück nur noch ein paar Meter von mir entfernt, die Sicht reichte gerade noch bis zu ihr. Ich tauchte wieder auf, und nahm die Strecke in Angriff. Es wurde der härteste Wettkampf, den ich jemals durchgestanden hatte, aber meine Mühe wurde belohnt. Schon bald hatte ich sie erreicht, und das Schönste war: sie war noch bei Bewusstsein! Also musste ich keine Wiederbelebungsmaßnahmen durchführen. Ich packte sie am Kragen ihrer Bluse, der meinem Reißen glücklicherweise nicht nachgab. Musste gute Qualität sein, denn so ein nasser Körper war ganz schön schwer. Ich ruderte mit dem freien Arm, um sie und mich über Wasser zu halten, mit dem anderen zog ich sie hinauf. Sie half mir mit schwachen Beinbewegungen, und das Problem war bald gelöst.
Doch da tat sich das nächste auf: wo war das kleine Rettungsboot hin? Daran hatte ich nicht mehr gedacht. Vielleicht hatte ich in meinem Unterbewusstsein angenommen, es würde wie ein treuer Hund, nicht von meiner Seite weichen? Doch es hatte mir offensichtlich den Gehorsam verweigert. Ich konnte durch meine feuchten Augen kein Boot sehen. Was war das nur für ein beschissener Tag, in einer noch beschisseneren Welt?
Da bekam ich auch noch einen Schlag gegen meinen Hinterkopf. Er war zwar nicht besonders hart, aber ich dachte in diesem Moment, dass ich heute mal wieder die Verliererkarte gezogen hatte. Der Schlag ließ mich für einen Moment untertauchen, mit mir die Frau, die das alles mit einer bewundernswerten Ruhe erduldete. Als ich wieder auftauchte, sah ich, was mir diesen kleinen Schubser versetzt hatte. Mein Boot war wieder da! Mein treuer, kleiner Freund, an dem ich mich die letzten Stunden so gewöhnt hatte. Doch jetzt war nicht die Zeit für Sentimentalitäten. Ich ergriff mit meiner freien Hand die Schnur, die entlang des Bootsrandes gespannt war. Da hatte sich der Erbauer dieses kleinen Gummidampfers aber echt etwas Gutes einfallen lassen! Jetzt nur nicht wieder loslassen! Weder rechts noch links! Meine Arme schmerzten wirklich sehr, obwohl sie von dem Rollstuhlfahren ziemlich durchtrainiert waren. Ich versuchte das schmerzhafte Ziehen in den Muskeln zu ignorieren, und konzentrierte mich auf den letzten Kraftakt. Obwohl ich wusste, dass ich mit meinem Sauerstoff sparsamer haushalten sollte, ließ ich einen animalischen Schrei hören, und hievte die Frau mit einem Schwung in das Boot. Es gelang mir tatsächlich bereits beim ersten Versuch, vielleicht hatte ich heute doch meinen Glückstag? Nun hing ich wie ein nasser Kartoffelsack am Seil, und war nicht mehr in der Lage mich zu bewegen. Unterhalb meines Bauchnabels war ich das ja nun schon seit einigen Monaten gewöhnt, aber dass mich jetzt auch noch der Rest meines Körpers im Stich ließ, war eine völlig neue Erfahrung. Ich konnte einfach nicht mehr, ich war nicht mehr in der Lage, die Ovationen der imaginären Zuschauer entgegenzunehmen. Ich wollte nur noch an
Weitere Kostenlose Bücher