Gnadenlose Gedanken (German Edition)
durchzudrehen. So ein bisschen wirres Zeug zu mir selber sagen, oder irgendetwas Verrücktes tun, würde meine Laune vielleicht etwas anheben. Wie wär`s mit Daumenlutschen? Kleine Kinder konnten mit diesem Trick die schlimmsten Krisen überstehen, warum denn nicht auch ich? Noch lieber hätte ich mich gerne maßlos besoffen, aber dazu fehlte es mir ja leider an dem nötigen Stoff. Überhaupt wurde mir der Durst langsam lästig. Da schwimmst du in dem größten Fass weit und breit, und kannst nicht einen Schluck davon probieren. Harmlose Gemüter hätten das wohl eine Gemeinheit genannt. Für mich war es eine Qual, die ich nicht länger erleiden wollte. Ich musste eine Entscheidung treffen. Was war sinnvoller? In der Nähe des Unglücksortes zu bleiben und auf Hilfe zu warten? Oder besser in Richtung Festland paddeln? Da ich nur meine Arme zu Hilfe nehmen könnte, und außerdem keinen blassen Schimmer hatte, wo denn das sprichwörtliche rettende Ufer sein könnte, fiel die Entscheidung eigentlich relativ leicht. Mir blieb nichts anderes übrig, als auf den Helden zu warten, der mich aus meiner Scheiße fischen würde. War einer unterwegs zu mir, würde er mich finden?
Was mich sehr beunruhigte, war die Tatsache, dass sich niemand in meiner Nähe herumtrieb. Ich meine, dass keiner an meinem Bötchen vorbeitrieb. Weder tot, noch lebendig. Ab und zu kam mal ein Stückchen Fähre des Weges, aber war das ein Zeichen, dass ich mich überhaupt noch in der Nähe des Wracks befand? Oder war ich während meiner freiwilligen Auszeit abgetrieben? Und wenn ja, wohin? Die Chancen standen fifty-fifty. Entweder trieb ich immer weiter auf das offene Meer hinaus, oder aber ich kam dem Land immer näher. Erkennen konnte ich nichts. Das Meer hatte sich inzwischen zwar etwas beruhigt, aber ob das auch ein Zeichen dafür war, dass ich mich in die richtige Richtung bewegte? Keine Ahnung. Ich musste feststellen, dass ich reichlich wenig wusste, über das Wasser im Allgemeinen, und über das Meer im Besonderen. Das einzige, was ich in diesem Moment definitiv erfasste, war, dass mir kalt war, und ich einen mörderischen Durst hatte. Hunger und Erschöpfung hielten sich noch in Grenzen.
Wenigstens hatte ich etwas, das mich beschäftigte. Ich drückte abwechselnd einen Finger auf das Loch im Schlauchboot, und löffelte das Wasser aus ihm heraus. Es hielt mich etwas in Bewegung und schenkte mir ein wenig Wärme. Da musste man doch seinem Schicksal unendlich dankbar sein, für solch ein Geschenk!
Da bekam ich doch tatsächlich etwas Abwechslung präsentiert. In einiger Entfernung sah ich etwas schwimmen, das nur wenig Ähnlichkeit mit den Überresten eines Schiffes hatte. Es schien tatsächlich ein Mensch zu sein! Halleluhlja! Ich war doch nicht der letzte Mensch auf diesem nassen Planeten! Und der Mensch da hinten winkte mir sogar zu! Freundlicher Geselle! Aber warum tauchte er denn immer wieder unter? Das konnte die Lungen auf Dauer ganz schön strapazieren, und ehe man sich versah, war man ertrunken. Oh! Klar! Der Mensch dort hinten war gerade dabei zu ertrinken!
Ich pfiff auf das pfeifende Loch und benutzte beide Arme als Paddel. Ich musste so schnell wie möglich zu dem armen Wesen gelangen und es retten. Sehr schön, endlich mal etwas zu tun, an diesem ereignislosen Tag. Ich paddelte wie ein Wilder, als würde ich von einem Heer Krokodile verfolgt. Die kalten Muskeln und Sehnen schmerzten sofort, aber darauf konnte ich momentan wirklich keine Rücksicht nehmen. Supermann kümmert sich auch nicht um solche Lappalien.
„Ich komme, halte aus!“, rief ich, und musste unwillkürlich an die alte Flipper-Serie denken.
Dort war auch immer regelmäßig jemand vor dem Ertrinken gerettet worden, mit ähnlich dämlichen Sätzen wie meiner.
„Gleich bin ich bei dir!“
[Ein Mensch! Da kommt ein Mensch! Ich muss doch noch nicht sterben, er rettet mich! Oh danke, lieber Gott!]
Das war wieder einmal typisch! Ich strampelte mich hier ab, und der da oben heimste die Lorbeeren ein. Scheißegal, weiterpaddeln!
Bald war ich dem Ertrinkenden nahe genug gekommen, um festzustellen, dass er eine Sie war.
„Ich bin gleich bei dir, alles in Ordnung!“
Doch es war noch lange nicht alles in Ordnung. Kurz vor dem Ziel machte die Frau schlapp. Mein Trainer wäre von dieser schlaffen Einstellung gar nicht begeistert gewesen. Das hätte mich damals zehn Extrabahnen gekostet. Aber ich war da weniger streng als mein Coach. Die Frau ging unter. Ich war
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