Gnadenlose Gedanken (German Edition)
konnte, dass sich die nächste Toilette in unmittelbarer Reichweite befand, hatte er sich getraut zu trinken.
In seinem Job konnte eine schwache Blase natürlich auch zu einem Problem werden. Deshalb hasste er es auch so, wenn er Verdächtige beschatten musste. Dann musste er stundenlang in seinem Wagen ausharren und dabei versuchen,
nicht
an Wasserfälle und Springbrunnen zu denken.
Einmal war ihm ein Mann nur deshalb entwischt, der verdächtigt worden war, seine Ehefrau wegen einer jüngeren Geliebten umgebracht zu haben. Laschek hatte ihn tagelang beschattet, und obwohl der Mann etwas geahnt haben musste, hatte er Laschek nicht abschütteln können. Es war nur noch eine Frage der Zeit gewesen, wann der Kerl Laschek zu seiner Geliebten führen würde, der er dann gerne einige Fragen gestellt hätte. Laschek wusste, hätte er erst einmal die Geliebte gefasst, dann würde er auch den Mann überführen können.
Eines Tages hatte Laschek wieder, vor dem Büro des Mannes, in seinem Auto Stellung bezogen. Stundenlang harrte er aus. Er aß nichts, er trank nichts, er starrte nur auf die dritte Etage des Gebäudes. Doch nach ein paar Stunden machte sich mal wieder seine Blase bemerkbar. Irgendwann konnte er es nicht mehr aus- und einhalten. Er sprang aus seinem Wagen und verschwand hinter dem nächsten Baum. Dort weckte er den Zorn einer alten Dame, die mit ihrem Pudel unterwegs war. Sie bestrafte ihn mit bösen Blicken, vielleicht war es der Stammbaum des Köters. Es kam zu einem kurzen, sehr kurzen, Disput zwischen den Dreien, den der Pudel in puncto Lautstärke für sich entschied. Er war aber nur knapper Sieger vor seinem Frauchen geworden. Laschek hatte nur wieder schnell zu seinem Auto kommen wollen, der Typ durfte ihm auf keinen Fall entwischen! Doch als er wieder hinter seinem Lenkrad saß, um einen Liter erleichtert, da bemerkte er sofort, dass irgendetwas an dem Haus nicht stimmte. Richtig! Der Wagen des Mannes war verschwunden. Und dass aus einem Fenster im dritten Stock Rauch quoll, hatte sicher auch nichts Gutes zu bedeuten. Er war ihm entwischt! Und Laschek hatte ihn nie wieder gesehen. Noch nicht einmal eine winzige Fährte fand er. Der Typ war verschwunden, und damit auch die Aussicht, ihn in den Knast zu bringen. Das war einer der seltenen Fälle gewesen, wo er von seinem Chef einen Rüffel bekommen hatte. Laschek hatte ihm natürlich nie gebeichtet,
wie
ihm der Mann hatte entkommen können. Er hatte sich eine so dermaßen dämliche Ausrede einfallen lassen, dass er sich heute nicht mehr an sie erinnern konnte.
Das hatte ihm wieder einmal bewiesen, was er bereits als kleiner Junge gewusste hatte: eine volle Blase bescherte einem nur eine Menge unangenehmer Schwierigkeiten.
So wie auch jetzt.
Pinkelten Fledermäuse eigentlich im Schlaf?
Der Druck auf seiner Blase beschäftigte Laschek im Moment mehr, als die Schmerzen und die Todesangst. Er wollte den Druck loswerden, aber wie? Das Problem war nicht, dass kein Klo in der Nähe war, sondern, dass er sich keinem Klo nähern konnte. Er baumelte unter der Decke des Kellers dieses durchgedrehten Monsters, und versuchte verzweifelt zu sterben, bevor der Wahnsinnige zurückkehrte um seine Spielchen fortzusetzen.
Menschen in Not verfielen immer wieder in das gleiche Ritual, und auch Laschek konnte sich dem nicht verwehren.
„Hilfe!“, brüllte er.
„Hilfe!“
„Hilfe, Hilfe, Hiiieeellfffeee!“
„So helft mir doch, ich piss mir in die Hose!“
Der letzte Satz war ihm irgendwie herausgerutscht, eigentlich hatte er ihn doch nur denken wollen. Er schämte und genierte sich, und er wollte eigentlich lieber sterben, als
so
gefunden zu werden. Heulend wie ein kleiner Knirps, der ganz dringend mal Pipi musste.
Aber seine Rufe wurden erhört.
„Ich kooooome!“, sang es aus dem oberen Stockwerk.
„Nur Geduld, gleich geht es in die zweite Ruuuunde!“
Der Wahnsinnige war zurück. Laschek hörte, wie die Türe zum Keller geöffnet wurde, und das Monster die Treppe herunterstieg. Dann spürte er, wie eine warme Flüssigkeit seinen Bauch hinauflief. Sie bahnte sich ihren Weg, wie ein Bach nach einem Regenguss. Über seinen dicken Bauch floss der Urin auf seine Brust. Das erste Mal in seinem Leben wünschte sich Laschek, er hätte mehr Brustbehaarung gehabt. Viel mehr! Vielleicht hätte sie den Harnfluss aufhalten können. So aber floss er weiter, natürlich auf seinen Hals. Und erst an seiner kleinen Schnittwunde, an diesem Kratzer, machte sie
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