Gnadenlose Gedanken (German Edition)
in diesem Moment zu sehr provoziert.
Er versuchte, ihn dankend anzulächeln.
„Ist schon in Ordnung, es geht gleich wieder. Ich muss mich nur einen Moment ausruhen. Einverstanden?“
Der Riese grummelte etwas Unverständliches, rückte aber einen Meter von Laschek ab, was dieser als Zustimmung deutete.
Sofort meldete sich sein Fluchtinstinkt. Er täuschte einen Hustenanfall vor, um etwas Zeit zu gewinnen, und um sich unauffällig den Raum etwas genauer anzusehen.
Vieles gab es allerdings nicht zu sehen. Erstens war die Glühbirne, die an „seiner“ Decke hing, zu schwach und verstaubt, und zweitens
gab
es einfach nichts zu sehen. Keine alten Kartons, kein verrostetes Fahrrad, keine ausrangierten Möbelstücke; nichts. Der Raum war absolut leer. Es existierte auch kein Fenster. Der einzige Ausgang bestand aus der Tür, die sich im Rücken des Riesen befand, vielleicht drei Meter von Lascheks Position entfernt.
Hatte er sie eigentlich abgeschlossen, nachdem er eben gekommen war? Laschek wusste es nicht mehr, er hatte einfach nicht darauf geachtet. Früher wäre es ihm nicht entgangen. Da hatte er auf solche Dinge geachtet, denn er wusste, dass solche Kleinigkeiten sich manchmal als sehr hilfreich erweisen konnten. Aber er hatte seine Instinkte verloren. Fast alle.
Andererseits war es auch nicht so wichtig, ob die Türe nun verriegelt war, oder nicht. Er hatte sowieso keine Chance, sie zu erreichen. Und wenn er dieses Glück doch haben sollte, wie weit würde er dann kommen? Er war schwach, sehr schwach. Und er hatte keine Ahnung, was ihn hinter dieser Türe erwarten würde. Müsste er nach links laufen, oder besser nach rechts? Welcher wäre der richtige Fluchtweg? Was hieß überhaupt „laufen“? Mit seinen blutleeren Gummibeinen wäre er keine drei Schritte weit gekommen.
Nein, so konnte er das Spiel nicht gewinnen! Bestenfalls abkürzen. Aber das wäre ja auch schon ein kleiner Erfolg gewesen.
Das Pflaster an seinem Hals juckte.
Er entschloss sich zu einer ganz neuen Taktik. Ablenken und Zeit gewinnen. Vielleicht suchten seine Kollegen ihn ja doch? Vielleicht hatten sie seine Spur bis zu dem Imbiss-Stand verfolgen können? Und vielleicht hatte sich ja der Wurstonkel an seinen übergroßen Begleiter erinnern können? Und vielleicht stand er in der Kartei? Bei seinen Vorlieben war dies doch sehr wahrscheinlich. Vielleicht machten sich gerade in diesem Augenblick zwei Hundertschaften auf den Weg, ihn aus diesem Loch zu befreien?
Es hätte Laschek noch nicht einmal etwas ausgemacht, wenn seine Kollegen ihn so vollgepisst und vollgekotzt gefunden hätten. Hauptsache, sie hätten dem Koloss seinen hässlichen Kopf von den Schultern geballert. Hoffentlich würden sie nicht mit den üblichen Dienstwaffen anrücken. Da musste schon etwas Größeres her. Mindestens Maschinenpistolen. Besser noch ein paar Handgranaten. Ach was! Raketenwerfer! Man musste da ganz sichergehen.
Also, bevor seine Retter kamen, den Koloss vernichteten und die fröhliche Schlussmusik den Abspann einleiten konnte, musste er mehr Zeit gewinnen.
Krampfhaft überlegte er sich das passende Gesprächsthema. Was lag da näher, als den Riesen auf sein Hobby anzusprechen? Welcher Mann konnte es sich bei diesem Thema verkneifen, stundenlange Monologe zu halten? Laschek konnte das beurteilen, er hatte in Verhören und Zeugenvernehmungen alle möglichen Hobbys kennengelernt.
Alle
möglichen.
Er räusperte sich kurz, um das Ende des Hustenanfalls anzukündigen, und fragte los.
„Sag mal, wie war das eigentlich mit den kleinen Ratten, die du eben besucht hast? Hattest du eigentlich Erfolg? Erzähl doch mal!“
Es war ein, zugegeben, schwacher Versuch, dämlich und leicht zu durchschauen. Aber der Koloss bemerkte die List nicht, und er fiel prompt auf sie herein.
„
Das
war wirklich ein Kinderspiel! Es ging viel einfacher als ich vorher gedacht hatte! Ich bin in die Schule spaziert, bin in die Küche gegangen, habe ihnen das Gift verabreicht, und bin wieder hinausspaziert. So einfach ging das!“
„
So
einfach war das?“
So
einfach!“
Jesus war sichtlich stolz auf seine Tat. Er schaute Laschek an, wie ein Hund, der für ein gelungenes Kunststück ein Leckerchen von seinem Herrchen erwartete. Für eine Sekunde rechnete Laschek damit, dass der Riese vor ihm Männchen machte.
„Toll!“, lobte er ihn schnell.
„Aber du musst doch schon alleine durch deine Körpergröße aufgefallen sein! Schließlich sieht man nicht alle
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