Gnadenlose Gedanken (German Edition)
zurückgeholt. Jesus seufzte. Er musste sich zusammenreißen. Er wollte viel lieber weiter darüber nachdenken, womit er sich beschenken sollte.
Aber Jesus kannte seine Pflichten. Also erst das Vergnügen, und dann die Belohnung.
21
Ich machte mir weder über Vergnügen, noch über Belohnungen Gedanken. Ich wollte lediglich meinen alten Kumpel Manfred wiederfinden. Den guten alten Manni. Der Manni, der mich mit seiner stoischen Ruhe immer wieder so schnell aus der Bahn werfen konnte. Der Manni, der Steaks so würzte, als ob der Pfeffer das Hauptgericht wäre. Mein Manni, der mit der dicken Wampe und den langen Haaren aussah, als ob er ein Elefant mit Perücke sei. Mein Manni, mein Pfleger. Mein Freund.
Ich vermisste ihn. Ich sorgte mich um ihn.
Ich fuhr durch das Notlager, als trainierte ich für ein Slalomrennen der Paralympics. Veronika konnte meinem Tempo kaum folgen. Überall suchte ich ihn. Die Franzosen hatten in der kurzen Zeit wirklich gute Arbeitet geleistet. Es herrschte zwar ein Durcheinander, aber es war ein geordnetes Chaos. In einem Klassenzimmer warteten die gesunden Schiffsbrüchigen auf ihr weiteres Schicksal, in den anderen lagen die Verletzten, und wurden von vielen Weißkitteln versorgt. Man hatte es sogar geschafft, die Menschen nach Nationen zu trennen. Aber weder bei den gesunden, noch bei den verletzten Deutschen konnte ich Manfred finden. Ich war verzweifelt. Ich drehte mich um und sah Veronika ratlos an.
Sie versuchte mich zu trösten, und sagte:
„Don`t worry!“
Da kam mir ein Gedanke.
Mehr als einmal hatten die Iren gedacht, Manfred sei ein Schotte oder ein Waliser, so gut sprach er englisch. Warum sollten die französischen Helfer nicht das Gleiche gedacht haben?
„Zu den Engländern!“, rief ich.
Veronikas Blick verriet mir, dass sie wohl die Befürchtung hatte, mir wären das Salzwasser und der raue Wind auf dem Meer nicht bekommen. Aber sie folgte mir brav. Natürlich hatte sie während unserer Rallye auch nach ihrer Freundin gesucht, aber Susanne hatten wir auch nicht finden können.
Endlich erreichten wir das „englische“ Klassenzimmer.
Und da lag er! Mein Manni!
Er schien zu schlafen, jedenfalls hatte er seine Schweineaugen geschlossen. Oder er hatte sie vor Schmerzen zugekniffen, denn er bekam gerade von einer hübschen Asiatin, die in ihrer engen Schwesterntracht wirklich sehr knackig aussah, einen dicken Gipsverband um das linke Bein verpasst.
„Hallo Manni!“, schrie ich vor Begeisterung.
Müde hob er seine Lider.
„Hallo Robert!“, antwortete er erfreut.
Plötzlich strahlten seine müden Augen. Er schien sich um mich nicht weniger Sorgen gemacht zu haben, als umgekehrt.
„Wie hast du mich denn hier gefunden? Wie bist du hergekommen? Wer ist denn deine reizende Begleiterin?“
Die Fragen sprudelten aus ihm heraus, wie der Sekt aus einer Flasche, wenn man sie zu stark geschüttelt hatte. So kannte ich ihn ja gar nicht! Entweder hatte die Asiatin ihm ein besonders starkes Schmerzmittel gegeben, (mit aufmunternden Nebenwirkungen!), oder er hatte mich auch so sehr vermisst.
„Sag mir lieber mal, was mit deiner Haxe geschehen ist. Das sieht ja dramatisch aus!“
Sein Bein sah wirklich schlimm aus. Soweit es noch aus dem Gipsverband hinausschaute, hatte es die Farbe einer Boxernase angenommen, auf die Mike Tyson zehn Runden lang Klavier gespielt hatte.
Außerdem hatte sich der Umfang seines Beines verdoppelt. Da Manfred schon vorher über ziemliche Elefantenstampfer verfügt hatte, war es nicht verwunderlich, dass die Krankenschwester eine Kollegin verzweifelt um Nachschub an Gipsmasse bat. Eine normale Portion konnte da einfach nicht ausreichen.
„Na ja“, antwortete er.
„Du erinnerst dich doch sicher noch, wie schlecht es mir auf der Fähre ging. Nachdem ich die Reste des Abendessens, das komplette Frühstück und den letzten Milliliter Magensäure zu Gesicht bekommen hatte, wollte ich eigentlich nur noch sterben. Also bat ich jemanden um Hilfe, mit dem ich sonst genauso wenig zu tun haben will, wie du. Ich bat Gott, mich sterben zu lassen. Und was glaubst du, geschah? Der Mistkerl tat mir den Gefallen! Es gab einen lauten Knall, so als ob zwei Lokomotiven ineinander gerast wären, und bevor ich auch nur ein weiteres Mal würgen konnte, war ich bereits unterwegs in Richtung Meer. Aber ehe ich dort landete, schlug ich auf ein Rettungsboot auf. Da ich es zuerst mit meinen Beinen traf, und dann erst mit den restlichen hundertzwanzig
Weitere Kostenlose Bücher