Gnadenlose Gedanken (German Edition)
Belohnung?“
Der Kommissar brachte tatsächlich ein Nicken zustande.
Also nahm Jesus den Penis des Kommissars in seine Hand, und mit einem kurzen Ruck, so wie man einem kleinen Schulmädchen einen lockeren Milchzahn zieht, nahm er sich seine verdiente Belohnung.
Veronika und ich hatten vergeblich nach ihrer Freundin Susanne gesucht. Sie war weder im „gesunden deutschen Klassenzimmer“, noch bei den Kranken und Verletzten gewesen. Auch bei den anderen Nationen war unsere Suche erfolglos geblieben. Wir hatten überall gesucht. Nur einen Raum hatten wir ausgelassen.
Wir wussten beide, dass wir ihn nun betreten mussten, wollten wir absolute Gewissheit haben.
Wir standen vor dem Raum und sahen uns an. Ich wusste, wie sie sich jetzt fühlte. Die gleichen Gedanken, die sich nun durch ihr Gehirn brannten, hatte ich erst vor ein paar Minuten selber noch gehabt.
„Soll ich reingehen und fragen?“
Doch sie schüttelte nur stumm den Kopf. Sie holte tief Luft, wie ein Taucher bevor er ins Wasser sprang, und betrat das Zimmer, wo es nicht mehr notwendig gewesen war, die Personen nach ihrer Nationalität zu trennen. Sie schaute sich kurz um, und ging dann zu dem Ende des Klassenzimmers, wo der Schreibtisch des Lehrers stand. Jetzt saßen dort zwei Männer. Der eine hatte einen weißen Kittel an, der andere trug ein schwarzes Gewand. Hinter den beiden flüsternden Männern hing eine große Tafel. Sie war nur flüchtig abgewischt worden. In diesem Raum hatten vor nicht allzu langer Zeit, kleine Franzosen den Unterschied zwischen Gegenwart und Vergangenheit gelernt. Beides lag nun dort auf zusammengeschobenen Pulten, unter Decken verborgen. Dort lagen Körper, die in der Vergangenheit ein Leben gelebt hatten, was nun, in der Gegenwart, zu Ende war. So einfach ließ sich das erklären.
Veronika ging auf die beiden Männer zu. Ängstlich blickten sie zu ihr auf. Sie erfüllten ihre Aufgabe nicht gerne, das sah man ihnen deutlich an. Mit ein paar kurzen Worten beschrieb Veronika, nach wem sie suchte. Daraufhin erhob sich der Arzt und führte sie an ein Pult, das am Fenster stand. Mit der rechten Hand drückte er sanft Veronikas Unterarm, mit der linken entblößte er einen toten Frauenkörper. Erst als sie kurz aufschrie, stand auch der Geistliche auf, um zu ihr zu eilen, doch sie war schon aus dem Klassenzimmer geeilt.
„Lass uns gehen“, sagte sie nur, und war auch schon auf dem Weg nach draußen.
Veronika stand am Schultor, sie hatte mir ihren Rücken zugewendet. Langsam rollte ich auf sie zu. Ich war etwas unsicher, wusste nicht, wie ich mich verhalten sollte. Ließ ich sie mit ihrem Schmerz alleine, oder sollte ich sie in die Arme nehmen und versuchen sie zu trösten? Ich kannte mich nur mit Selbstmitleid bestens aus. Jetzt hatte ich Mitleid mit einem Menschen und wusste nichts mit diesem Gefühl anzufangen.
Doch Veronika half mir weiter. Sie drehte sich zu mir um, wischte sich etwas ungeschickt ihre Tränen von den Wangen, und fragte mich:
„Von welchem „ganz speziellen Freund“, war denn eben, zwischen Manfred und dir, die Rede? Als er ihn erwähnte, wurdest du ganz blass!“
Sie war eine sehr aufmerksame Frau, kein Zweifel. Ich dachte, ich hätte meine Furcht und meine Sorgen vor ihr verbergen können.
Nun musste ich eine wichtige Entscheidung treffen. Sollte und konnte ich einem Menschen vertrauen, den ich erst seit ein paar Stunden kannte? Zugegeben, die Umstände unseres ersten Rendezvous waren ziemlich intensiv, ja beinahe intim gewesen. Aber genau das war es andererseits auch, was mich so zweifeln ließ. Wie sehr hätte ich ihr vertrauen können, und mich ihr öffnen können, wenn ich sie unter gewöhnlichen Bedingungen kennengelernt hätte? Wie würde sie reagieren, wenn ich ihr von dem Koloss und seiner Jagd nach mir erzählte? Schließlich war jeder Mensch, der sich in meiner Nähe aufhielt, ein potentieller Todeskandidat. Würde sie nicht genauso schnell aus meinem Leben wieder verschwinden, wie sie darin aufgetaucht war? Wer könnte es ihr verübeln? Oder aber sie würde denken, ich sei halt nicht nur körperbehindert, sondern auch geistig minderbemittelt. Das dachten schließlich nicht wenige Menschen. Ein Mann, der im Rollstuhl saß, der war auch nicht in der Lage, selbstständig zu denken. Diese Erfahrung hatte ich oft genug gemacht, wenn ich mit meinem Rolli am Kennedy-Platz gestanden hatte, um den fremden Gedanken zu lauschen. Immer wieder waren Menschen zu mir gekommen, die dann so
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