Gnadenlose Jagd
weder charakterlich noch äußerlich. Er musste inzwischen Ende dreißig sein, aber die Jahre hatten ihn pfleglich behandelt. Groß, schlank – täuschend schlank, dachte sie, denn niemand wusste besser als sie, welche Kraft und Zähigkeit sich in seinem schlanken Körper verbargen. Aber es war sein Gesicht gewesen, das sie vor neun Jahren so um den Verstand gebracht hatte. Seine Züge waren nicht im klassischen Sinne schön, er hatte tief liegende Augen, hohe Wangenknochen und schmale Lippen. Was sie fasziniert hatte, war sein Gesichtsausdruck gewesen. Oder auch die Ausdruckslosigkeit seines Gesichts. Die Ruhe, die Wachsamkeit und die Beherrschung, die sein Gesicht ausstrahlte, war von Anfang an eine Herausforderung für sie gewesen.
»Das würde ich mir nicht anmaßen.« Er lächelte. »Nicht nachdem du deine Sache so großartig gemacht hast. Sie ist ein prächtiges Mädchen, Grace.«
»Ja, das ist sie.«
»Ich schlage dir nur vor, die Gelegenheit zu nutzen und dir von mir dabei helfen zu lassen, sie aus dieser schrecklichen Lage zu befreien. Schließlich ist es dein gutes Recht, Ansprüche an mich zu stellen.«
»Sie befindet sich in keiner Lage, aus der ich sie nicht allein befreien kann. Ich habe nicht die Absicht, irgendwelche Ansprüche an dich zu stellen, und ich will nicht, dass du dich in ihr Leben einmischst.«
»Dann muss ich darauf bestehen.« Seine Stimme klang sanft, aber sie hatte einen harten Unterton. »Ich habe dich, solange ich konnte, in Ruhe gelassen, weil es für euch beide sicherer war. Aber die Situation hat sich geändert. Jetzt bin ich gezwungen, mich einzumischen.«
»Du kannst darauf bestehen, bis du schwarz wirst. Du hast kein Recht –«
»Ich bin Frankies Vater. Das gibt mir eine ganze Menge Rechte.«
Die Worte trafen sie wie ein Schlag ins Gesicht. »Das weißt du nicht. Und ich würde vor jedem Gericht einen Eid darauf schwören, dass du nicht ihr Vater bist.«
»DNA, Grace. Das Wunder DNA.« Seine Augen verengten sich zu Schlitzen. »Und der Zeitpunkt stimmt. Ich traue dir nicht zu, dass du dir in der kurzen Zeit zwischen unserer Trennung und ihrer Geburt einen neuen Liebhaber gesucht hast, um dich schwängern zu lassen.«
»Du wirst sie mir nicht wegnehmen.«
»Das habe ich auch nicht vor.« Er schob die Unterlippe vor. »Hör zu, ich verspreche dir, dass ich nicht versuchen werde, sie dir wegzunehmen. Ich werde ihr nicht mal erzählen, dass ich ihr Vater bin. Ich möchte nur dafür sorgen, dass ihr beide in Sicherheit seid.«
»Scher dich zum Teufel.« Grace drehte sich auf dem Absatz um und öffnete die Haustür. »Wir brauchen dich nicht. Wir haben Robert, und wir haben die CIA-Leute, die uns beschützen.«
»Die werden euch so lange beschützen, wie ihr ihnen nützlich seid. Aber ihr werdet für die schon bald eine Belastung sein.«
»Wieso?«
»Weil ich meinen Teil des Deals mit ihnen nicht eingehalten habe.« Er machte eine unwirsche Handbewegung. »Hör zu, du sollst wissen, dass Marvot seine Hunde von der Kette gelassen hat. Er hat ein Kopfgeld von fünf Millionen auf dich ausgesetzt. Und drei Millionen auf Frankie.«
»Wie bitte?«, flüsterte sie.
»Und für Frankie gilt: tot oder lebendig. Dich will er lebend haben, weil du dich als wertvoll erweisen könntest, aber Frankie interessiert ihn nicht.«
Sie schüttelte ungläubig den Kopf. »Nein.«
»Doch. Du weißt, dass er dich seit dem Überfall sucht. Aber als ich wieder auf den Plan getreten und zu einer Gefahr geworden bin, hat er beschlossen, alle Register zu ziehen. Vor einem Monat hat er bekannt gegeben, dass er eine Prämie auf eure Köpfe ausgesetzt hat, und seitdem versuchen sämtliche Kopfgeldjäger aus Europa und den Staaten, euch ausfindig zu machen. Kersoff hat offenbar jemanden bei der CIA geschmiert und ins Schwarze getroffen. Donavan hatte über einen seiner Kontaktleute erfahren, dass Kersoff einen Glückstreffer gelandet hatte, und war auf dem Weg zu dir.« Seine Lippen spannten sich. »Und da hab ich mir gesagt, es ist an der Zeit, dass ich mich in Tallanville mal ein bisschen umsehe.«
»Drei Millionen Dollar auf Frankies Kopf.« Grace war bleich vor Entsetzen. »Ein kleines Mädchen …«
»Du weißt, dass das für Marvot keinen Unterschied macht. So lange bist du noch nicht aus dem Geschäft.«
»Lange genug.« Sie erschauderte. »Warum?«
»Ich habe ihm etwas gestohlen, an dem ihm sehr viel lag. Er wusste, dass das erst der Anfang war, und er wollte mich bestrafen. Du kennst
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