Gnadenlose Jagd
Frankie sanft. »Zeit zum Aufstehen.«
»Es ist noch zu früh«, sagte Frankie schläfrig. »Noch zehn Minuten, Mom. Dann mach ich –« Plötzlich riss sie die Augen auf. »Charlie!« Sofort füllten sich ihre Augen mit Tränen. »Charlie …«
Grace nickte. »Es ist wahr. Und niemand kann etwas daran ändern.« Sie wischte sich die Augen. »Ich wünschte, wir könnten es ändern. Aber wir müssen weiterleben, Frankie.« Sie schlug die Decke zurück. »Geh dich waschen und putz dir die Zähne. In meinem Rucksack ist was zum Anziehen für dich. Wir müssen aufbrechen.«
Frankie schaute sie verdattert an. »Wo fahren wir denn hin?«
»Zurück zur Farm. Es ist schon fast zehn. Wir müssen die Pferde füttern und ihnen zu trinken geben. Charlie würde nicht wollen, dass sie leiden, oder?«
Frankie schüttelte den Kopf. »Ich hatte die Pferde ganz vergessen.«
»Charlie würde sie nie vergessen. Wir müssen tun, was er sich von uns gewünscht hätte.« Sie hauchte Frankie einen Kuss auf die Nase. »Ich weiß, dass du viele Fragen hast, dass du reden willst, und das werden wir. Aber zuerst haben wir einiges zu erledigen.«
Frankie nickte. »Ja, wir müssen uns um Darling kümmern.« Entschlossen ging sie ins Bad. »Ich brauch nicht lange, Mom.«
»Ich weiß. Wir holen uns unten im Café ein paar Muffins, und dann machen wir uns auf den Weg.«
Als Frankie die Badezimmertür hinter sich zuschlug, atmete Grace erleichtert auf. So weit, so gut. Wenn sie Frankie beschäftigte, würde das ihren Schmerz zwar nicht heilen, aber es würde sie zumindest ablenken. Am liebsten hätte sie sich selbst die gleiche Kur verschrieben, doch das würde ohnehin nicht funktionieren, denn sie wurde bereits unaufhaltsam zurück in den Horrortrip gesogen, dem sie vor neun Jahren entkommen war – wie sie geglaubt hatte. Aber in Wirklichkeit war sie sich nie sicher gewesen, dass es vorbei war. Warum sonst hätte sie einen gepackten Rucksack im Schrank aufbewahren und im Wald Verstecke auskundschaften sollen? Tief in ihrem Innern hatte sie gewusst, dass es noch nicht vorbei war.
Sie setzte sich in den Sessel und wartete darauf, dass Frankie aus dem Bad kam.
»Irgendwie ist es … anders.« Frankie betrachtete den Stall. »Ich denke die ganze Zeit, Charlie müsste aus der Scheune oder aus dem Stall kommen und mich aufziehen, weil ich so spät aufgestanden bin.«
»Ich auch.« Grace stieg aus dem Auto. »Aber er wird nicht kommen, Liebes. Daran müssen wir uns gewöhnen. Geh doch schon mal in den Stall und fang mit der Arbeit an. Ich muss noch ein paar Dinge im Haus erledigen.«
Frankie blickte sie fragend an. »Was denn für Dinge? Hat das was mit Charlie zu tun?«
»Teilweise. Ich muss alle seine wichtigen Papiere zusammensuchen und sie seinem Anwalt schicken.«
»Und was noch?«
»Ich muss unsere Sachen packen.«
Frankie schwieg einen Augenblick. »Ach ja, jetzt können wir ja nicht mehr hier wohnen. Das war Charlies Haus. Es wird mir fehlen.«
»Wir werden zurückkommen. Charlie würde wollen, dass wir zurückkommen.«
Frankie schüttelte den Kopf.
»Frankie, hör mir zu. Eine Weile wird alles anders sein, aber ich verspreche dir ganz fest, dass diese Farm und die Pferde uns nicht verloren gehen. Glaubst du mir das?«
Frankie nickte. »Du hast mich noch nie belogen.« Sie ging zum Stall. »Ich muss nach Darling sehen. Er ist klug, aber er wird es auch nicht verstehen.«
Auch nicht. Frankie begriff das alles nicht, aber sie vertraute darauf, dass Grace es wieder richten würde. Sie durfte ihre Tochter nicht enttäuschen. »Ich komme in einer Stunde, dann werden wir den Pferden ein bisschen Bewegung verschaffen.«
Frankie hob die Hand zum Zeichen, dass sie verstanden hatte, dann verschwand sie im Stall.
Einen Moment lang sah Grace ihr nach, ehe sie ins Haus ging. Sie hatte Frankie versprochen, in einer Stunde in den Stall zu kommen, und es wurde allmählich eng. Aber sie wollte Frankie auf keinen Fall länger als unbedingt nötig allein lassen.
»Grace.«
Als sie herumfuhr, sah sie Kilmer, der von der Straße aus auf sie zukam. »Ich will dich hier nicht haben.«
»Aber du brauchst mich.«
»Keineswegs.«
»Aber Frankie braucht mich.« Er stand vor ihr. »Du kannst so unabhängig sein, wie du willst, aber ich lasse nicht zu, dass du Frankie in Gefahr bringst.«
»Erzähl mir nicht, wie ich auf meine Tochter aufzupassen habe.« Ihre Hände ballten sich zu Fäusten. Verdammt, er hatte sich kein bisschen verändert,
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