Gnadenlose Jagd
Angst funktioniert auch bestens.«
Marvot nickte. »Allerdings.« Er stand auf. »So oder so, ich erwarte bis morgen Abend eine Antwort. Kann ich mich darauf verlassen?« Er sah Hanley durchdringend an, um auch ihm ein bisschen Angst zu machen. »Ich warte schon sehr lange darauf, dass diese Frau mir in die Hände fällt, Hanley. Meine Geduld ist fast am Ende. Ich werde keine Nachsicht walten lassen, wenn wir diesmal scheitern.«
»Das brauchen Sie mir nicht zu sagen.« Hanley wandte sich ab. »Wir werden nicht scheitern.«
»Sehr gut. Und jetzt nehmen Sie Kontakt nach Langley auf und machen die Leute dort ein bisschen nervös.« Er ging zur Tür. »Ich erwarte einen Bericht, wenn ich von meinem Abendspaziergang zurückkomme. Ich habe Guillaume versprochen, vor dem Schlafengehen noch einmal mit ihm zur Pferdekoppel zu gehen, um ihm eine besondere Freude zu machen.«
Hanley schüttelte den Kopf. »Warum ist der Junge so verrückt nach diesen Gäulen? Er hat doch selbst ein prächtiges Tier.«
»Auf Kinder übt das Verbotene immer eine besondere Faszination aus. Er weiß, dass die beiden schon Menschen getötet haben.«
»Haben Sie keine Angst, dass Guillaume sich mal heimlich zu ihnen schleicht und versucht, eins von ihnen zu reiten?«
»Das wird er irgendwann mit Sicherheit versuchen. Deswegen habe ich jedem, der im Stall arbeitet, damit gedroht, ihn mit einem der beiden in die Box zu sperren, falls er es zulässt, dass der Junge ohne mein Einverständnis in die Nähe der Pferde gelangt.« Er zuckte die Achseln. »Aber wenn ich ihm hin und wieder einen Blick auf die beiden gestatte, wird das den Zeitpunkt ein wenig hinausschieben.« Er öffnete die Tür. »Ah, da bist du ja, Guillaume. Fertig?«
»Ja, Papa.« Guillaumes Augen leuchteten. »Ich hab meine Kamera mitgebracht. Ich möchte ein Foto von den beiden machen und es in meinem Zimmer aufhängen.«
»Gute Idee.« Marvot nahm Guillaume an die Hand und drehte sich noch einmal zu Hanley um. »Wenn Sie mir Grace Archer bringen und sie mit den beiden arbeitet, brauche ich mir vielleicht keine Sorgen mehr um meinen Sohn zu machen. Ein Grund mehr für Sie, Ihren Auftrag schnellstmöglich zu erledigen.«
Hanley nickte. »Selbstverständlich.«
Marvot lächelte Guillaume an. »Hanley wird uns eine Spielkameradin für die Zwei besorgen. Eine junge Frau. Wäre das nicht interessant?«
Guillaume wirkte skeptisch. »Aber die spielen doch gar nicht gern.«
»Mit ihr vielleicht doch.« Er ging mit dem Jungen an den Zaun und bedeutete dem Stallburschen, die beiden Pferde in die Koppel zu lassen. »Klettere auf den Zaun und sieh sie dir an. Sie bewegen sich so geschmeidig wie Seide.«
»Oder so stürmisch wie Feuer.« Guillaume schaute fasziniert zu den beiden Arabern hinüber, die aus dem Stall gestoben kamen. »Wie weißes Feuer. Wie Blitze, Papa. Meinst du, die Frau könnte die Zwei für mich zähmen? Könnte ich die Zwei dann reiten?«
Am liebsten hätte Marvot ja gesagt, doch er verkniff es sich. Wenn er von den beiden Pferden erst einmal bekommen hatte, was er wollte, würde er sich ihrer wahrscheinlich entledigen. »Manchmal ist es besser, etwas Besonderes aus der Ferne zu genießen. Sieh dir an, wie leichtfüßig sie sich bewegen.«
Das Mondlicht fiel auf die Pferde, die durch die Koppel galoppierten. In einer mondklaren Nacht wie dieser hatte Marvot Grace Archer zum ersten Mal mit den beiden arbeiten sehen. Er hatte fest damit gerechnet, dass die Zwei sie töten würden, und gespannt darauf gewartet, wie sie wohl im Angesicht des Todes reagieren würde. Er konnte sich noch gut erinnern, wie schmal und zerbrechlich Grace Archer im Vergleich zu der ungezügelten Kraft der Pferde gewirkt hatte. An dem Abend war sie nicht ums Leben gekommen, und als Marvot gesehen hatte, wie die Pferde auf sie reagierten, hatte er Hoffnung geschöpft.
Dieses Miststück.
»Sind sie nicht schön, Papa?« Guillaume hatte nur noch Augen für die Pferde. »Sieh mal, wie sie ihre Köpfe hochstrecken.«
»Großartig«, sagte Marvot. Und für ihn absolut nutzlos. So nutzlos, wie sie es schon all die Jahre über gewesen waren.
Aber vielleicht würden sie es nicht mehr lange sein. Er hatte gehofft, ein Hindernis aus der Welt schaffen zu können, indem er eine Belohnung auf den Tod des Mädchens aussetzt, denn er hatte angenommen, dass die Frau sich ohne das Kind besser auf die Pferde konzentrieren kann. Aber inzwischen war er froh, dass Kersoff die Kleine nicht getötet hatte.
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